Interview: Warum Bildung für den Frieden besonders wichtig ist
16 September 2022
Das Thema Krieg und Frieden ist allgegenwärtig innerhalb der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Während sich das Wort „Krieg“ recht klar definieren lässt als ein organisierter, mit Waffen gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Staaten bzw. zwischen sozialen Gruppen der Bevölkerung eines Staates, ist das Wort „Frieden“ gar nicht so einfach zu fassen. Was es mit dem Begriff auf sich hat und welche Rolle die Bildung in einem Friedensprozess spielen kann, erklärt Professor Stephan Stetter (Professur für Internationale Politik und Konfliktforschung am Institut für Politikwissenschaft) im Interview.
Prof. Stetter, wie definieren Sie „Frieden“?
Es gibt zwei große Definitionen von Frieden: Die eine Definition ist das, was man in der Wissenschaft den „negativen Frieden“ nennt, das ist ein gesellschaftlicher Friede, mit dem man die Abwesenheit von Gewalt meint. Also, dass ein Krieg oder Bürgerkrieg beendet wurde. Der nachhaltigere und auch umfassendere Begriff ist der des „positiven Friedens“, denn Frieden hat bestimmte gesellschaftliche, soziale und ökonomische Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ein „negativer Friede“ tragfähig ist. Das Herstellen dieses „positiven Friedens“, das heißt, das Erreichen einer Situation, in der die Menschen in einer Gesellschaft „befriedet“ sind, das ist der umfassendere Friedensbegriff, an dem es sich zu orientieren gilt, da sonst ein Rückfall in die Gewalt immer sehr wahrscheinlich sein kann.
Lässt sich Frieden Ihrer Meinung nach messen oder ist das nicht möglich?
Bestimmte Punkte in der Friedens-und Konfliktforschung können wir natürlich messen, z.B. die Opfer eines Krieges oder eines Konfliktes, an denen man die Gewaltintensität ablesen kann. Andere Zählarten, die man bei Konflikten untersuchen kann, sind z.B. die Waffensysteme, die eingesetzt werden, aber letzten Endes sind es viel zu viele Indikatoren, und deswegen muss man systematisch in vielen Bereichen Forschung betreiben um Frieden wirklich messen zu können. Dazu gehören auch Meinungsumfragen, damit man sehen kann, wie sich z.B. das Stimmungsbild in der Bevölkerung zum Thema „Frieden“ gestaltet. In einem aktuellen Forschungsprojekt untersucht meine Professur zum Beispiel mit Kollegen aus unserer und einer Berliner Uni die Bedingungen unter denen Journalismus und soziale Medien in Konfliktgebieten zu Versuchen, gesellschaftlichen Frieden zu schaffen beitragen kann. Wir untersuchen in diesem Projekt Libanon und Afghanistan.
Einer Ihrer wichtigsten Forschungsschwerpunkte beschäftigt sich mit dem Land Israel. Warum scheitern dort die Friedensprozesse immer wieder aufs Neue?
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist ja ein weltweit sehr bekannter Fall, es handelt sich dabei um einen Konflikt, der bereits seit vielen Jahrzehnten existiert. Konflikte, die so verhärtet sind, sind sehr schwer zu lösen. Ich würde aber davor warnen zu sagen, dass das ein ganz besonderer Konflikt ist, der schwerer zu lösen ist als alle anderen. Denn überall wo wir Konflikte zwischen Nationen vorfinden, bei denen es um die Beanspruchung des gleichen Stück Landes geht, sind nur schwer Lösungen zu finden. Das sehen wir auch hier in Europa, wenn wir beispielsweise nach Nordirland oder nach Zypern schauen, oder auf Russlands Territorialansprüche gegenüber der Ukraine. Israel-Palästina ist schwer zu lösen, aber das liegt nicht an den beiden Bevölkerungsgruppen, sondern einfach an der Dynamik dieses Konfliktes. Es gibt nationale Ansprüche, die nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen sind. Es gab einen sehr viel versprechenden Friedensprozess in Israel und Palästina Anfang der 1990er Jahre, den Oslo- Friedensprozess. Was wir bei diesem Friedensprozess sehen konnten war zweierlei: Es gab Friedensbereitschaft und friedenswillige Akteure, aber es gab auch zahlreiche Akteure, die aktiv und erfolgreich versucht haben, den Friedensprozess zum Scheitern zu bringen – und dann eine einsetzende gesellschaftliche Resignation. Viele Israelis und Palästinenser sagen (und zwar bis zum heutigen Tage), dass sie sich einzig und allein einen Frieden wünschen, und zwar nicht, dass sie gewinnen gegen die andere Seite, sondern dass man einen gemeinsamen Kompromiss findet. Diesen Weg zu gehen ist sehr schwierig, zum einen weil man Abschied nehmen muss von liebgewonnenen Konfliktidentitäten, zum anderen weil solche Friedensprozesse durch Akteure torpediert werden können, die letzten Endes diesen Frieden nicht wollen. Es gibt diese Akteure auf beiden Seiten, was immer wieder zu Gewalteskalationen geführt hat. Dies wiederum macht dann einen großen Teil der Bevölkerung skeptisch und führt zur Frage: Können wir überhaupt Frieden mit der anderen Seite schließen? Dabei sind die Feinde des Friedens nicht immer nur auf der anderen Seite zu sehen, sondern auch in der eigenen Gesellschaft.
Welche Voraussetzungen müssten in Israel und Palästina geschaffen werden, damit Frieden möglich werden könnte?
Hier würde ich von mehreren Voraussetzungen sprechen: Es muss eine gesellschaftliche Bereitschaft für Frieden geben, das heißt es reicht nicht, dass Staatenführer einfach ein Abkommen unterschreiben, sondern es muss gesellschaftliche Initiativen geben, die den Frieden mittragen und in der breiten Bevölkerung dafür eine Plattform schaffen. Es braucht meistens auch Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und die Nachbarländer, sie sollten in einen Friedensprozess integriert werden, aber nicht nur um Druck auszuüben, sondern auch um ein friedliches gesellschaftliches Umfeld zu gestalten. Frieden in Europa nach dem 2. Weltkrieg ist auch nur deswegen möglich gewesen, weil es insgesamt eine Friedensordnung in Europa gab. Das fehlt im Nahen Osten bis zum heutigen Tag. Das dritte, was geschaffen werden muss, neben diesem gesellschaftlichen Prozess und neben der Entwicklung von außen sind die ökonomischen Voraussetzungen. Es muss Gerechtigkeit geben, ökonomische und soziale Gerechtigkeit, Gerechtigkeit zwischen Generationen, Geschlechtern und ethno-nationalen Gruppen. Die Konfliktparteien sollten aber auch sagen können, wir sehen, dass das Unrecht, das wir erfahren haben, anerkannt und aufgearbeitet wird, in Gerichtsprozessen, in den Schulbüchern, im öffentlichen Diskurs. Und wir sehen auch unseren Anteil im Konflikt und stehen zu diesem. Leider funktioniert das in vielen Fällen so nicht, aber ist eine essentielle Voraussetzung, dass Frieden dauerhaft gelingt.
Eines Ihrer aktuellen Projekte beschäftigt sich mit der „Peace Education in Israel und Palästina“? Um was handelt es sich dabei?
Hier handelt es sich um ein Projekt, das durch die Europäische Union gefördert wird mit gesellschaftlichen Akteuren in Israel und Palästina, dahinter steht das Konzept der Friedenserziehung bzw. der Friedensbildung. Auf internationaler Ebene gibt es hierzu diverse UN-Resolutionen und auch die UN-Unterorganisation für Bildung und Wissenschaft (UNESCO) beschäftigt sich mit diesem Thema. Das Rezept ist eigentlich ganz einfach: Frieden braucht eine Gesellschaft und gesellschaftliche Bedingungen, die es ermöglichen, dass er in die Kultur, in Bildungsinstitutionen hineingetragen wird, vom Kindergarten über die Schulen, bis hin zur allgemeinen politischen Bildung für die Erwachsenen. Bildung ist enorm wichtig, um die Feindbilder hinterfragen zu können und eine neue Identität aufzubauen. Ein Beispiel: Ich kann Israeli und Palästinenser sein, meine Identität annehmen und muss nicht den anderen als meinen Feind sehen. Friedenserziehung stellt sich aber auch die Frage, wie gehe ich mit Konflikten eigentlich um, wie schaffe ich es Konflikte in der Politik, aber auch im Privaten, gewaltfrei zu lösen. Hierzu gibt es in vielen Ländern auf der Welt verschiedene Projekte, auch bei uns in Europa. Unser Projekt versucht von den guten Erfahrungen, die man in anderen Ländern gemacht hat, zu lernen und diese auf Israel und Palästina zu übertragen. Wir wissen, es ist ein langer Prozess, den wir hier vor uns haben, aber, wenn wir ihn ernsthaft und mit Geduld betreiben, besteht die Hoffnung auf Erfolg.
Weitere Informationen zur Professur von Prof. Stetter finden Sie auf der Website seiner Professur.
Titelbild: © gettyimages/ipobba