Interview mit Prof. Bernhard Leipold: „Über den Umgang mit Krisen“

24 August 2022

Eines der häufigsten Worte der letzten beiden Jahre ist wohl „Krise“: Derzeit erleben wir parallel die Klimakrise, eine Pandemie, eine wirtschaftliche Krise mit Inflation und nicht zuletzt den Ukrainekrieg. Welche Effekte haben diese Mehrfach-Krisen auf die Menschen und geht man am Besten damit um?

Ein Interview mit Prof. Bernhard Leipold, Professor für Entwicklungs- und Gesundheitspsychologie


Wie gehen Menschen ganz allgemein mit der Häufung von Krisen um?

Wenn sich Krisen häufen und andauern, besteht die Gefahr, dass sich Stresserleben dauerhaft erhöht. In Episoden von Einschränkungen erhöhen sich negative Gefühle wie Angst oder Resignation. Die Überzeugung, nicht effektiv handeln und wenig bewirken zu können, kann auch zu Aggressivität oder Wut führen. Die genannten Krisen sind dadurch gekennzeichnet, dass es keine einfachen oder schnelle Strategien gibt, und dass man als einzelne Person nur sehr begrenzt zu ihrer Beseitigung beitragen kann. Allerdings nutzen Menschen teilweise sehr unterschiedliche Bewältigungsstrategien, und die genannten Krisen werden auch nicht als gleichermaßen belastend wahrgenommen.


Gibt es Erkenntnisse darüber, wie belastet vor allem jüngere Menschen mit der aktuellen Weltsituation sind?

Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung, in der 500 deutsche Jugendliche im Mai 2022 befragt wurden, bereiten am meisten Sorge: der Tod von nahestehenden Menschen, die Möglichkeit, dass auch in Deutschland ein Krieg ausbrechen könnte, der Klimawandel. Mehr als die Hälfte berichten durch die Ukraine-Krise bedingte Gefühle der Angst und Trauer und befürchten Einschränkungen in Wohlstand und Freiheit. Die Corona-Pandemie wird als weniger belastend empfunden. 37 Prozent glauben, dass die Zukunft in Deutschland in drei Jahren schlechter als heute aussehen wird. Das Gesamtbild ist allerdings nicht durchweg negativ. Die meisten Jugendlichen sind mit ihrem Leben insgesamt sehr zufrieden und sehen der eigenen beruflichen Zukunft positiv entgegen. Über 60 Prozent finden es wichtig, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten und sind der Ansicht, dass die Politik die Meinung junger Leute nicht ernst nimmt.


Wie wird es sich langfristig auf das Leben der jetzt Jugendlichen und jungen Erwachsenen auswirken, dass sie im Dauerkrisenmodus aufwachsen?

Die Corona-Pandemie hatte zu Einschränkungen in Kontakten und Freizeitaktivitäten geführt; viel Zeit wurde zu Hause, mit Lernen im Homeoffice, verbracht. Diese Spannungen haben sich mittlerweile wieder gelockert. Der Ukrainekrieg mit seinen ungewissen Folgen ist dieses Jahr eskaliert, die Sorge um Umwelt und Klima hat schon seit längerem einen hohen Stellenwert bei vielen Jugendlichen. Trotz der besorgniserregenden Ereignisse, die sich überlagern, ist schwer zu sagen, wie sich die Situation langfristig auswirken wird: Es können Gewöhnungseffekte eintreten und die subjektive Bedeutsamkeit einzelner Krisen verändert sich über die Zeit. Die Entwicklung von Jugendlichen beinhaltet auch ein Repertoire an Bewältigungsstrategien, die erprobt werden und in schwierigen Lebenslagen ihre Anwendung finden. In der Schule, in der Ausbildung und in ihren sozialen Beziehungen müssen sie sich trotz schlechter Nachrichtenlage ständig bewähren.


Was kann man tun, wenn man merkt, dass einem die Nachrichtenlage zu viel wird?

Informationskanäle gezielt auswählen, Pausen machen, Meldungen bewusst wahrnehmen: Das Smartphone muss ja nicht ständig genutzt werden. Bei den großen gesellschaftlichen Krisen ohne absehbares Ende die Aufmerksamkeit auch auf Positives richten, auf kleine Erfolge, auf Zwischenschritte. Dies wird bei Negativmeldungen oft übersehen, ist allerdings motivational wichtig, um eine pauschale Resignation zu vermeiden und um handlungsfähig zu bleiben. Eine Entwicklungsaufgabe besteht auch darin, in der Informationsflut das eigene Urteilsvermögen für Relevanz zu erweitern.


Wie kann man Resilienz stärken?

Resilienz bezeichnet den (ständigen) Prozess der positiven Anpassung trotz Krisen. Generell scheint mir dabei eine Flexibilität im Umgang mit unterschiedlichen Problemen gefordert. Man steht immer wieder vor der Frage: Was kann ich tun, was liegt außerhalb meines Einflussbereichs? Flexibilität beinhaltet Entscheidungen, ob man Möglichkeiten sieht, das Problem an den Wurzeln zu packen (z. B. Informationen recherchieren, einen Handlungsplan aufstellen, Strategien umsetzen). Es kann dabei auch ratsam sein, soziale Unterstützung heranzuziehen. Manche Probleme können durch eigenes Handeln nicht ursächlich behoben werden; hier muss gelernt werden, dass Unvermeidliche zu akzeptieren, bestimmte Dinge mit Humor zu nehmen, die eigenen Ansprüche zu regulieren. Auch Ablenkung durch Freizeitaktivitäten, Entspannungsübungen, Sinnsuche und Religion können hilfreich sein. Es zeigt sich: Es gibt viele konkrete Wege zur Resilienz, aber die jeweiligen Strategien können auch scheitern und müssen modifiziert werden, wenn neue Krisen eintreten.


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