Buchpräsentation: Die Macht des Fußballs im Nahen Osten

13 Oktober 2022

In etwas mehr als einem Monat, am 20. November, beginnt die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Die politische Rolle, die Fußball in einem Land wie Katar spielt, wurde bei einer Buchpräsentation und Gesprächsrunde an der Universität der Bundeswehr München diskutiert.

Neben den sportlichen Highlights stehen auch andere Themen bei dieser WM im Fokus. Mit der Macht des Fußballs im Nahen Osten haben sich der Politikwissenschaftler Dr. Jan Busse (Institut für Politikwissenschaft) und Historiker René Wildangel als Herausgeber des Buches „Das rebellische Spiel – Die Macht des Fußballs im Nahen Osten und die Katar-WM“ beschäftigt.

Zusammen mit dem parlamentarischen Staatssekretär a. D. Dr. Peter Tauber, der Expertin für die Golfregion und wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Universität Anna Reuß und dem stellvertretenden Leiter des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung und Nahost-Experten Moritz Baumstieger (beide letztgenannten veröffentlichten auch Beiträge im Buch) diskutierte Dr. Jan Busse bei einer Buchpräsentation und Diskussionsrunde u. a. darüber, was ein Boykott der WM bewirken könne und ob mit Verbesserungen für die Bevölkerung in Katar nach dem Turnier zu rechnen sei. Moderiert wurde die Runde von Prof. Stephan Stetter vom Institut für Politikwissenschaft.

Wie der Fußball in den Nahen Osten kam

Zu Beginn gab Dr. Busse einen Einblick in die Geschichte des Fußballs in den Golfstaaten. Zwar sei Fußball in nordafrikanschen Ländern wie Algerien, Marokko und Ägypten mit einer langen Tradition bekannt. Doch auf der arabischen Golfhalbinsel war das Spiel lange unbedeutend. Erst seit der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wurde über Fußball in der Region berichtet. Damals waren es vor allem britische und indische Ölarbeiter, die in Katar Fußball spielten, bevor es auch die einheimische Bevölkerung als Spiel für sich entdeckte.

Dr. Busse bilanzierte, dass man dem Fußball sowohl eine unterdrückende als auch eine emanzipatorische Kraft zuschreiben kann. Mit einigen eindrücklichen Beispielen schilderte er z. B., wie Spieler im Auftrag der Diktatoren ihres Landes gefoltert wurden, wenn sie schlecht spielten.

„Die Macht des Fußballs im Nahen Osten äußert sich in verschiedenen Formen: Sei es im Zuge kolonialer Herrschaft, im Kampf nach nationaler Selbstbestimmung oder beim Versuch der Herrschaftssicherung. In jedem Fall gilt aber, die dem Fußball innewohnende Dynamik lässt sich auch jenseits des Platzes nur schwer kontrollieren“, so Jan Busse in seinem Impulsvortrag.

WM boykottieren oder nicht?

In der Diskussionsrunde ging es um die Frage, die wohl fast alle im Vorfeld dieses Turnier beschäftigt: Sollte man als Zuschauerin oder Zuschauer die WM boykottieren oder nicht? Und: Sollten Staaten oder hochrangige Politikerinnen und Politiker es tun?

Dr. Peter Tauber kritisierte, dass es bei Rufen nach Boykott, häufig nicht darum gehe, sich mit der Situation im arabischen Raum auseinander zu setzen, sondern darum, die eigene moralische Überlegenheit zu dokumentieren. Seiner Ansicht nach sei Sport immer politisch und auch Deutschland habe bei der WM 2006 die Aufmerksamkeit der Welt dafür genutzt, eigene Werte und Ansichten zu vermitteln. Dies seien natürlich andere und vor allem demokratische Werte gewesen, dennoch ist ihm der Ruf nach einem Boykott zu einfach, um eine Diskussion zu beenden.

Dr. Busse stimmte damit überein: „Mittlerweile ist meine Erkenntnis, dass ein Boykott niemandem richtig hilft. Ich glaube, was hilft, ist eine differenzierte und kritische Berichterstattung. Denn auch in Katar gibt es zivilgesellschaftliche Aktivisten, die sich jetzt freuen, dass die Aufmerksamkeit endlich einmal auf Katar liegt, dass jetzt endlich die Gelegenheit da ist, Gehör zu finden.“ Seine Befürchtung sei nur, dass die Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Ähnliches im Zuge der Hochglanzberichterstattung über die Stars der Spiele zu einem Randthema in den Medien werden könnte. Auch aus diesem Grund habe er das vorliegende Buch mit herausgegeben. Die Autorinnen und Autoren wollten den Klischees der Berichterstattung über den Nahen Osten etwas entgegensetzen. Die Aufmerksamkeit sollte nicht nur im Zeitraum des Turniers auf Katar liegen, sondern auch nachhaltig.

Sport als politisches Instrument

Laut Dr. Tauber ist es notwendig, dass Politikerinnen und Politiker diese WM nutzen, um nach Katar zu fliegen und die Mannschaft zu unterstützen. Denn die Mannschaft repräsentiere im Moment des Turniers die Bundesrepublik Deutschland und damit die freiheitlich demokratische Grundordnung.

Der Journalist Moritz Baumstieger, der als Autor mit einem Porträt des ehemaligen syrischen Nationaltrainers Bernd Stange im Buch vertreten ist, sah die Frage nach der politischen Macht des Fußballs etwas kritischer: „Ich bin nicht ganz so überzeugt davon, dass Fußball die verändernde Kraft hat, die ihm manche zuschreiben.“ Seiner Ansicht nach bräuchte es eine drastische Wende in der Sportpolitik. „Wir müssten deutlich stärker unsere Werte verteidigen, ohne neokolonialistisch aufzutreten“, so Baumstieger.

Auch Anna Reuß sieht Boykott nicht als geeignetes Mittel an, etwas gegen das Unrecht in Katar zu unternehmen. Leider sei es wahr, dass sich die Frauenrechte nicht grundlegend verbessern würden, genauso wenig wie die schlimme Lage der Arbeitsmigranten, nur, weil in einem kurzen Zeitfenster der WM die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werde. Aber ein Boykott würde noch viel weniger bringen.

Einig waren sich die Diskutanten darin, dass Fußball durchaus etwas Positives bewirken könne. Durch die Ermöglichung von Sport für Frauen und Mädchen eröffneten sich Chancen in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Frauen im Sport können als Vorbild für Mädchen fungieren, aber sie werden gleichzeitig auch instrumentalisiert von den Staaten um die Reputation der Staaten zu steigern.

Somit dürfe man nicht vergessen, dass die Ausrichtung eines solchen Sportgroßereignisses dem Bestreben der Machthabenden geschuldet ist, nach außen hin gemäßigt zu erscheinen um die wirtschaftliche Machtposition zu stärken. Sport sei genau wie die Stärkung der Länder als Tourismusnationen und die Eröffnung internationaler Universitäten dafür da, Wirtschaftszweige aufzubauen, die den Ländern nach der Zeit der fossilen Energiegewinnung helfen werden.


Titelbild (v.l.n.r.): Dr. Jan Busse, Dr. Peter Tauber, Prof. Stephan Stetter, Moritz Baumstieger, Anna Reuß (© Universität der Bundeswehr München/ Siebold)