Interview mit Prof. Fairhurst: Eine Geste, so alt wie die Menschheit
17 Dezember 2021
Was noch vor zwei Jahren für uns alle selbstverständlich war, ohne dass wir überhaupt darüber nachdenken mussten, hat durch die Corona-Pandemie ein jähes Ende gefunden. Der letzte Händedruck, die Umarmung der Eltern - Berührungen, die wir als angenehm empfanden, liegen bei den meisten nun schon lange Zeit zurück. Was wird sein, wenn die Pandemie zu Ende ist und Berührungen wieder erlaubt sind, können wir dann so einfach wieder zum früheren Zustand zurückkehren? Und wollen wir das überhaupt noch? Wir haben zu diesem Thema mit Prof. Merle Fairhurst gesprochen, die an der Universität der Bundeswehr München die Professur für Biologische Psychologie innehat.
Interview mit der Psychologin Prof. Merle Fairhurst zu Berührungsmangel in der Pandemie und den Folgen daraus.
Die Corona-Pandemie hat uns nun schon bald zwei Jahre im Griff und leider ist auch in den kommenden Monaten kein Ende abzusehen. Viel hat sich seit dieser Zeit verändert, wir begrüßen uns nicht mehr per Handschlag, wir umarmen uns nicht mehr, die Berührungslosigkeit nimmt immer mehr zu. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung in der Zukunft? Wird die Nähe zueinander, die wir von früher kannten, komplett verschwinden? Oder finden wir wieder in einen früheren Zustand zurück?
Die Dinge haben sich sicherlich geändert. Insbesondere hat unsere Forschung gezeigt, dass wir Berührungen durch Fremde vermeiden, uns aber nach Berührungen von geliebten Menschen sehnen. Darüber hinaus haben sich unser Berührungsverhalten und unser zwischenmenschlicher Raum aufgrund der Angst vor COVID-19 verändert. Je mehr Angst wir vor COVID-19 haben, desto mehr vermeiden wir Berührungen durch Fremde. Wichtig wäre, dass die zwischenmenschliche „Blase“ mit dem Nachlassen dieser Angst wieder zu ihrer früheren Größe zurückkehrt und wir wieder glücklich sind, durch Körperkontakt mit anderen, sowohl mit unseren Lieben als auch mit Fremden, zu interagieren. Wir hoffen, dass es irgendwann auch so sein wird.
Nun steht schon das zweite Weihnachtsfest in der Zeit der Pandemie vor der Tür. Gerade jetzt sind Berührung und Miteinander für die Familie, für Freunde sehr wichtig. Aber angesichts der hohen Infektionszahlen werden viele Menschen die Feiertage wieder alleine verbringen. Was raten Sie den Menschen, wie sollen sie mit der Situation umgehen?
Da wir uns unserem zweiten Weihnachtsfest unter angespannten Bedingungen nähern, müssen wir das Beste aus den sozialen Interaktionen machen, die wir haben können, entweder von Angesicht zu Angesicht oder virtuell. Glücklicherweise haben wir uns daran gewöhnt, uns immer noch "im Kontakt" zu fühlen, auch wenn wir jemanden nicht erreichen und umarmen können. Dieselben Gehirnregionen, die aktiv sind, wenn wir gestreichelt werden, werden einfach durch das Nachdenken über diese Berührungserfahrung aktiviert. Basierend auf diesen leistungsstarken kognitiven Mechanismen versucht unsere HandsOn App, Menschen zu helfen, den Gebrauch von vorgestellten Berührungen und Selbstberührungen zu lernen und mehr darüber zu erfahren, was Berührung für sie bedeutet.
In der Corona-Pandemie ist der Wunsch nach einem Haustier bei vielen Menschen stark gewachsen. So ist die Anzahl der Haustiere in zwölf Monaten um fast eine Million angestiegen. Könnte es sein, dass auch das Thema „Berührungsmangel“ hier eine Rolle spielte?
Mit der Frage nach dem Bedürfnis, nicht nur berührt zu werden, sondern auch andere zu berühren, eröffnet sich ein großes neues Forschungsfeld. Dazu gehört auch der Wunsch, mit einem Haustier zusammen zu sein. Eine Hypothese ist, dass wir uns beim Streicheln einer anderen Person, oder eines Tieres, vorstellen können, wie es sich anfühlt, die gleichen Gehirnkreise wieder zu aktivieren, die bei Berührung aktiviert werden.
Die interaktive Smartphone-App „HandsOn“, die in Zusammenarbeit mit Ihnen erstellt wurde, unterstützt die Nutzer durch informative und unterhaltsame Kurzvideos und Achtsamkeits- und Entspannungsübungen eigenes Berührungsverhalten bewusst wahrzunehmen und dieses zur Verbesserung des Wohlbefindens gezielt einzusetzen. Die App ist ja nun seit einigen Monaten online, wie ist die Resonanz und wie reagieren Menschen auf sie?
Wir verwenden die App jetzt nicht nur bei gesunden Erwachsenen, sondern haben mehrere Studien durchgeführt, die sich mit bestimmten beachtenswerten Bevölkerungsgruppen, etwa mit Personen, die an Körperbildstörungen leiden, und mit Jugendlichen, befasst haben. Das Feedback war äußerst positiv. Die meisten Teilnehmenden sagten, dass sie durch die Verwendung der App besser verstehen, was Berührung für sie bedeutet, nämlich wen sie berühren möchten, von wem und an welchen Körperstellen sie berührt werden wollen. Das Hauptziel der App ist es, die Benutzenden, aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt (neulich wurde HandsOn in ein Kooperationsprojekt mit der Europäischen Weltraumorganisation mit aufgenommen) individuelle Präferenzen für Berührung besser verstehen zu lassen (mehr Details finden Sie auf der Infoseite zur App).
Ein Blick in die Zukunft, vielleicht schon in ein paar Jahren oder Jahrzehnten wird es auf der Welt humanoide Roboter geben, die uns auch berühren können. Was denken Sie, werden wir eine solche Berührung anders empfinden als eine Berührung durch ein echtes Lebewesen?
Dies ist sicherlich eine realisierbare Entwicklungsperspektive. In der SocialBRIDGES-E-Konferenz zur Zukunft der KI, die vom Institut für Psychologie und von der Fakultät für Informatik an unserer Universität mitorganisiert wurde (mehr Informationen finden Sie auf der Konferenz-Website), kam auch dieses Thema in mehreren Vorträgen und Besprechungen auf. Wir starten aktuell ein neues Projekt, das sich mit Vertrauen und Berührung im Verhältnis zu KI-Roboterhaustieren befasst. Unsere Hoffnung ist es, ein intelligentes Roboterhaustier zu entwickeln, das in Pflegeheimen oder klinischen Einrichtungen nützlich wäre, in denen Berührungsinteraktionen von Vorteil sein können.
Vielen Dank für das Interview.
Titelbild: © gettyimages/AlexD75