Der Einsatz mathematischer Modelle in der Corona-Krise
4 Juni 2020
In der Epidemiologie spielen mathematische Modelle eine wichtige Rolle. Mit ihnen versucht man den Verlauf einer Epidemie quantitativ vorherzusagen: Mit wie vielen Krankheitsfällen ist wann zu rechnen, wie viele Krankenhausbetten werden benötigt und welche strategischen Entscheidungen und Maßnahmen haben welchen Einfluss auf den Verlauf der Epidemie?
Ein Beitrag von Prof. Andreas Malcherek, Professur für Hydromechanik und Wasserbau
Die mathematische Simulation ist eine der grundlegenden Methoden, die in der Mathematik, Physik und in den Ingenieurwissenschaften eingesetzt wird. Somit sind auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Fachrichtungen gefordert, ihre besonderen Methoden auf die mathematische Modellierung in der Epidemiologie anzuwenden und so zu einem interdisziplinären Austausch mit Epidemiologen beizutragen.
Wichtigste Kenngröße: Die Reproduktionszahl
Die derzeit wichtigste Kenngröße einer Epidemie ist die sogenannte Reproduktionszahl, die darüber entscheidet, ob die Anzahl der Infizierten exponentiell steigt oder abnimmt. Schon eine erste mathematische Analyse zeigt, dass diese Reproduktionszahl das Produkt aus drei grundlegenderen epidemiologischen Größen ist: der Anzahl der Krankheitstage, der Anzahl der infektiösen Kontakte, die wir pro Tag haben und der Wahrscheinlichkeit, dabei auf einen Infizierten zu treffen. Alle drei Größen können den Verlauf der Epidemie beeinflussen. Auf die Möglichkeit, dass wir irgendwann einmal nur noch auf immune Menschen treffen, die die Krankheit schon überstanden haben, setzt die Strategie der Herdenimmunität, die z. B. in Schweden praktiziert wird. Die Anzahl der Krankheitstage kann nur durch bessere Medikamente reduziert werden. Die Anzahl der infektiösen Kontakte reduziert sich durch Kontaktbeschränkungen und Mund-Nasen-Schutz.
Dynamik einer Epidemie mit dem SIRD-Modell erfassen
Das Standardmodell zur Beschreibung der Dynamik einer Epidemie ist das sogenannte SIRD-Modell. Es unterscheidet in einer statistischen Gesamtheit (z.B. die Einwohner Deutschlands) vier Gruppen von Personen: prinzipiell Empfängliche, die sich mit einer Krankheit anstecken können (S für engl. Susceptible), Kranke bzw. Infizierte (I für engl. Infected oder Ill), Genesene (R für engl. Recovered) und Verstorbene (D für engl. Deceased oder Died). Um nun die Dynamik einer Epidemie zu beschreiben, muss man die Veränderungen der Anzahlen dieser vier genannten Gruppen zunächst einmal verstehen, dann durch Gleichungen beschreiben und schließlich mit einem Modell der numerischen Mathematik lösen. So wächst die Gruppe der Infizierten natürlich umso stärker, je größer die Anzahl der infektiösen Kontakte und umso geringer die Immunität der Bevölkerung ist. Alle mathematischen Modelle haben unbekannte Parameter, wie hier die infektiöse Kontaktrate, die man durch einen Abgleich der Simulationsergebnisse mit den tatsächlichen Zahlen der Behörden (z. B. dem Robert-Koch-Institut) bestimmen kann.
Dieses Standardmodell wurde zur Beschreibung von AIDS auf eine Unterscheidung zwischen Kranken und Infizierten erweitert (SEIRD-Modell), da letztere besonders gefährlich sind, weil sie andere anstecken, ohne selbst von der Krankheit zu wissen. Das Modell wurde aktuell von mir und meinem Institut durch die Unterscheidung von zwei Gruppen von Genesenen weiterentwickelt, da es gerade bei den mit Corona-Infizierten auch spontane Heilungen gibt, ohne dass die Krankheit merklich ausbricht. Gerade diese Gruppe kann wesentlich zur Immunität der Bevölkerung beitragen.
Seit 2014 betreibt das Institut für Wasserwesen einen sehr erfolgreichen YouTube-Kanal, auf dem die physikalischen Grundlagen der Ingenieurwissenschaften und der mathematischen Modellierung einem breiten Publikum vorgestellt werden. Neben den Studierenden der Universität der Bundeswehr München verwenden auch andere Hochschulen die Videos zur Gestaltung der digitalen Lehre in der aktuellen Krise. Es lag daher nahe, sich in einer eigenen Playlist mit der Mathematischen Epidemiologie in der Corona-Krise zu beschäftigen. Die für diesen Anlass erstellte Playlist enthält derzeit vier Videos zu den oben genannten Themen, wird aber kontinuierlich zumindest so lange erweitert, wie wir von der Pandemie betroffen sein werden.
Hier gelangen Sie zur aktuellen Playlist – Mathematische Modelle zur Corona-Epidemiologie >>
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Titelbild: © istockphoto / aelitta