
4C und QUEENS: Wie Computersimulationen Gefahren vorhersagen
12 Februar 2025
Ob Brückeneinsturz oder reißendes Aneurysma: Die an der Universität der Bundeswehr München (UniBw M) gemeinsam mit Partnern entwickelten Software-Tools 4C und QUEENS erkennen solche Risiken durch Simulationen. Dritte weltweit arbeiten an den open-source-veröffentlichten Softwares mit.
Materialermüdung, hohe Verkehrslast und Umwelteinflüsse: All das kann zu einem Brückeneinsturz führen. Das Beispiel der Dresdner Carolabrücke hat das im September 2024 gezeigt. Dr. Matthias Mayr (im Titelbild links) und Dr. Sebastian Brandstäter (im Titelbild rechts) gehören zur Arbeitsgruppe Computergestützte Simulation am Institut für Mathematik und Computergestützte Simulation (IMCS) an der UniBw M. Im Rahmen ihrer Forschung entwickeln sie die Software-Tools 4C (Comprehensive Computational Community Code) und QUEENS (Quantification of Uncertain Effects in Engineering Systems), um Ereignisse wie Brückeneinstürze künftig vorhersagen zu können.
Anhand von Computersimulationsverfahren beantworten die Software-Tools mechanische Fragestellungen – etwa aus den Naturwissenschaften, dem Ingenieurswesen oder der Biomedizin – die ansonsten nicht zu beantworten sind. „Durch Computersimulationen kann man Erkenntnisse in Feldern gewinnen, in denen Theorie und Experiment nicht anwendbar sind“, erklärt Dr. Mayr, Leiter des Data Science & Computing Lab am IMCS und einer der Hauptentwickler von 4C, den Vorteil der Computersimulation.
Ein Beispiel für eine dieser mechanischen Fragestellungen ist, welchen Belastungen und Kräften eine Brücke standhält. „Fährt ein Schwerlasttransporter über eine Brücke, ruft das Kräfte in ihr hervor. Wir untersuchen, ob die Brücke das aushält, ob sie sich unter der Last verformt oder wie oft der Transporter über die Brücke fahren kann, bis sich eine Schädigung so sehr akkumuliert, dass Gefahr besteht“, veranschaulicht Dr. Mayr.
Ins Innere blicken, Szenarien simulieren
Die Forschungssoftware 4C erzeugt virtuelle Modelle zu solchen Fragestellungen und gewährt somit einen Blick ins Innere von Objekten. Ob und in welchen Teilen einer Brücke Spannungen herrschen und wo Schädigungen auftreten können, finden die Wissenschaftler so heraus. Wie das funktioniert, erklärt Dr. Brandstäter, verantwortlich für Scientific Machine Learning am IMCS an der UniBw M: „Über Text-Dateien können wir ein Modell beschreiben und aufbauen. 4C erstellt ein virtuelles Modell genau formalisiert und zeigt Deformationen, wenn sich eine Brücke beispielsweise unter Last verändert.“
Während 4C einzelne Modelle simuliert, steuert das Software-Tool QUEENS die Simulation vieler Varianten davon. „Fast jedes Modell muss in verschiedenen Anwendungsfällen ausgewertet werden. In der Simulation testen wir Szenarien, die nicht notwendigerweise existieren müssen. Mit QUEENS prüfe ich zum Beispiel, ob eine Brücke hält, wenn zwei oder vier LKWs darüberfahren“, legt Dr. Brandstäter, ein Hauptentwickler von QUEENS, dar. So ermöglicht QUEENS eine bessere Risikobewertung.
Ein weiteres Anwendungsgebiet der Software-Tools ist die Biomedizin. „Bei uns liegt der Fokus auf der Modellierung von Organen. Hier am Institut modellieren wir Mägen, aber auch Blutgefäße wie Hirnaneurysmen oder Koronararterien“, erörtert Dr. Mayr. Die Modelle sollen in diesem Bereich künftig dabei helfen, Krankheiten besser zu verstehen und die Behandlungsplanung unterstützen.
„In der Medizin haben wir bildgebende Verfahren wie Computertomographie, Magnetresonanztomographie oder Ultraschallbilder. Darüber erhalte ich Informationen über Geometrie und Lage. Mechanische Eigenschaften kann man daraus in aller Regel aber nicht ablesen“, so Dr. Brandstäter. Damit lässt sich also nicht erkennen, welche Kräfte auf ein Organ wirken, zum Beispiel bei einem Aneurysma – einer krankhaften Arterienerweiterung. „In einer Arterie herrscht Blutdruck. Das Aneurysma dehnt sich nicht notwendigerweise, weil der Blutdruck immer größer wird. Am Ende bleibt die Fragestellung: Wann ist das Aneurysma so stark aufgebläht und die Wand so dünn, dass sie dem Blutdruck nicht mehr standhält und die Arterie reißt?“, legt Dr. Brandstäter dar. „Das Ziel unserer Computersimulationen ist, berechnen zu können, wann die Wand reißt“, resümiert er.
Software-Tools Open-Source publiziert
Die beiden Software-Tools 4C und QUEENS werden in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und dem Helmholtz-Zentrum Hereon entwickelt und stehen Dritten weltweit unter einer Open-Source-Lizenz zur Verfügung. Andere Forscher oder Ingenieure können sich auf den Webseiten www.4c-multiphysics.org und www.queens-py.org einen ersten Eindruck verschaffen und die Softwares über die Repositories 4C sowie Queens auf Github einsehen, nutzen und ändern.
„Open-Source trägt dazu bei, Fehler aufzudecken und sich dadurch weiterzuentwickeln. So entsteht eine deutliche Verbesserung für die Wissenschaft in Sachen Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit“, weiß Dr. Brandstäter.
Vom Teilen ihres Wissens versprechen sich die beiden Ingenieure einerseits mehr Sichtbarkeit sowie größeren Impact, andererseits Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Forschergruppen. „Damit haben wir eine bessere Chance, die von uns entwickelten Methoden in die Welt und die wissenschaftliche Community hinauszutragen und in die Anwendung hineinzubekommen. Durch eine Open-Source-Publikation hat jeder die Gelegenheit, auf die Originalimplementierung aufzubauen - und muss sich nicht mehr jeden Schritt einzeln erarbeiten“, erläutert Dr. Brandstäter zur Open-Source-Veröffentlichung.
Die Software QUEENS wird gemeinsam mit dem Institut für Numerische Mechanik an der Technischen Universität München (TUM) seit 2018 entwickelt und beschäftigt aktuell sechs Hauptentwickler. 4C machte seine ersten Schritte vor fast 20 Jahren an der TUM. „Seitdem haben circa 135 Leute in Summe daran mitgearbeitet; die meisten davon im Rahmen von Promotionsverfahren. Aktuell haben wir 23 aktive Entwickler“, so Dr. Mayr. Das IMCS an der Universität der Bundeswehr München arbeitet gemeinsam mit dem Institut für Werkstoffsystem-Modellierung des Helmholtz-Zentrums Hereon und dem Lehrstuhl für numerische Mechanik der Technischen Universität München am Software-Projekt 4C.
Titelbild: Dr. Matthias Mayr (links) und Dr. Sebastian Brandstäter entwickeln im Rahmen ihrer Forschung die Software-Tools 4C und QUEENS, um Risiken anhand von Computersimulationen vorhersagen zu können (© Universität der Bundeswehr München/Siebold)