Diskussionsrunde: Ist die Zeitenwende schon beendet?

2 Dezember 2024

Prof. Carlo Masala diskutiert mit Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und dem Autor Christian Schweppe im Rahmen einer Buchvorstellung über die sogenannte Zeitenwende.

Sonntag, der 27. Februar 2022: Es ist der Tag, an dem Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende ausruft. Es ist auch der Tag, an dem das Buch „Zeiten ohne Wende - Anatomie eines Scheiterns“ des Journalisten Christian Schweppe beginnt.

Der sicherheitspolitische Experte Prof. Carlo Masala, von der Universität der Bundeswehr München (UniBw M) hat den Autor zusammen mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, am 28. November 2024 auf den Campus der UniBw M eingeladen. Beide sollten als „Beobachter von außen“ und als „zentrale Akteurin“ der Zeitenwende über den Inhalt des Buches diskutieren und eine Einordnung der aktuellen Situation geben.

 

„Die Zeitenwende war ja nie Programm“

Dr. Strack-Zimmermann erzählte dem Publikum zunächst einige Anekdoten über die Entstehung des Buches, zum Beispiel, dass Schweppe nach Veranstaltungen „einfach blieb“ auch als alle anderen Journalisten bereits weg waren. Ganz nach dem Motto: „Der Schweppe hängt da immer noch rum“.

Anschließend ging der Moderator Prof. Masala auf ein für ihn wichtiges Schlüsselzitat aus dem Buch ein: Wolfgang Schmidt, Chef des Bundeskanzleramtes, hatte in einem Interview gesagt: „Die Zeitenwende war ja nie Programm“. „Das deutet schon irgendwie an, dass nichts Umfassenderes damit verbunden war als nur die 100 Mrd. EUR für die Bundeswehr und die darauffolgenden 2 Prozent für Verteidigungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt“, so Prof. Masala.


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Prof. Masala moderiert die Diskussion über die Zeitenwende Foto:UniBw M/Siebold


Schweppe meinte dazu, dass ein Momentum da gewesen wäre, aber dass die Blockaden in der Regierungskoalition, vor allem in der Sicherheits- und in der Ukraine-Politik, für Probleme bei der Umsetzung gesorgt hätten: „Deswegen würde ich sagen, da müssen wir über den politischen Willen reden, jetzt wirklich was zu ändern. Mein Eindruck über diese zweieinhalb Jahre ist, der Kurs im Kanzleramt war wirklich dieses große Symbol mit der Zeitenwende-Rede. Aber wenn man schaut, was daraus geworden ist, ist es recht wenig“, sagte Schweppe.


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Autor Christian Schweppe spricht über die zweieinhalb Jahre, in denen er sich intensiv mit dem Thema Zeitenwende auseinandergesetzt hat und welche Beobachtungen er gemacht hat  Foto:UniBw M/Siebold


In einem Punkt waren sich alle einig: Nach mehr als 1000 Tagen Zeitenwende und damit auch mehr als 1000 Tagen Krieg in der Ukraine sieht keiner von ihnen eine Strategie. „Es gibt sie nicht; es gibt keine deutsche Ukraine-Strategie. Jedenfalls kann ich nach zweieinhalb Jahren und wirklich viel Zeit, die ich mit diesem Thema verbracht habe, keine erkennen,“ so Schweppe.

 

„Zeitenwende in der Zeitenwende“

Am Ende wurden auch die Zuhörer in die Diskussion einbezogen und konnten Fragen an die Experten stellen. Eine Studentin der UniBw M fragte, warum es nicht gelungen sei, die gesamte Bevölkerung mitzunehmen und in die Zeitenwende einzubinden.

Dr. Strack-Zimmermann argumentierte, dass das „Verdrängen“ in der Gesellschaft bisher gut funktioniert habe. Die Phase des Friedens und der Freiheit sei zwar in unserer jahrhundertelangen Geschichte nur sehr kurz gewesen, aber für Strack-Zimmermanns Generation und die nachfolgenden die „DNA des Lebens“: „Die Vorstellung, es könnte anders werden, ist so irre […] also Menschen ganz sachlich zu erreichen war und ist sowas von schwer. […] Das ist extrem schwer, weil Menschen dieser brutalen Realität ganz ungern ins Auge sehen. Sie sind Soldatin, aber für viele andere ist das gerade der Albtraum […] dass wir überhaupt wieder darüber sprechen müssen. […] Es ist sehr schwer eine Öffentlichkeit zu erreichen mit einem Thema, bei dem es letztendlich um Leben und Tod geht“ so Dr. Strack-Zimmermann.

Schweppe fügte hinzu, dass er oft höre, dass sein Buch traurig und schlechte Laune mache wegen diesem schwierigen Thema. „Aber wir kommen nicht Drumherum darüber zu sprechen und noch können wir es ja verändern. Noch hätten wir die Möglichkeit Dinge zu gestalten,“ sagte Schweppe.


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Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gibt Einblicke in das Thema Zeitenwende als „zentrale Akteurin“ Foto:UniBw M/Siebold


Über das Buch „Zeiten ohne Wende“

Zwei Jahre lang ist Journalist Christian Schweppe durch das Land gereist und hat beobachtet, was aus der versprochenen Zeitenwende jenseits von Ankündigungen und Plänen wirklich geworden ist. Er sprach mit vielen unterschiedlichen politischen und militärischen Akteuren. Daraus ist sein Buch „Zeiten ohne Wende – Anatomie eines Scheiterns“ entstanden.


Titelbild: (v.l.n.r.) Prof. Carlo Masala von der UniBw M, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, und der Autor Christian Schweppe diskutieren im Audimax der UniBw M über die Zeitenwende Foto:UniBw M/Siebold