China und Taiwan: Worum es beim Konflikt um Taiwan geht

14 September 2023

Bereits seit Jahrzehnten schwelt der Konflikt zwischen China und Taiwan, denn die Volksrepublik erhebt Anspruch auf die demokratische Inselrepublik östlich von China. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage zunehmend angespannt. PD Dr. habil. May-Britt Stumbaum ist Team Lead Asia Pacific Security am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr München und ordnet die Hintergründe und aktuellen Entwicklungen im China-Taiwan-Konflikt ein.

Chinas Staatschef Xi Jinping betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz. Was macht die Insel geostrategisch so wertvoll für die Volksrepublik China?

Zentrales Ziel für Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ist die absolute Kontrolle über ihr Handeln und die sie betreffenden China-Angelegenheiten. Dazu gehört ein freier Zugang zum offenen Meer. Derzeit wird jedes U-Boot, das in Hainan stationiert wird, frühzeitig beim Auslaufen gesehen, denn die küstennahen Gewässer sind in dieser Region sehr seicht. Gleichzeitig bieten die den USA nahestehenden Partner Japan, Korea, Taiwan und die Philippinen mit der „Ersten Inselkette“ eine mögliche Blockadelinie im Meer, um einen freien Meereszugang eventuell einzuschränken oder zu verhindern. Gehört Taiwan zur Volksrepublik China (VRC), hat Peking freien Zugang und die USA würden feindliche U-Boote im Extremfall erst vor San Francisco bemerken – ein zweites Pearl Harbour für die USA. 

Taiwan wird schon lange von China bedroht. Warum hat sich die Situation gerade in den letzten Monaten so verschärft?

Hier spielen mehrere Faktoren zusammen: Xi Jinping möchte im Rahmen seiner „nationalen Verjüngung“ Chinas die Eingliederung Taiwans vollenden – unter seiner Herrschaft, solange er noch in Saft und Kraft steht, möglichst vor dem 100. Geburtstag der chinesischen Volksbefreiungsarmee im Jahr 2027 und weit genug vor dem 100. Geburtstag der VRC, sodass die Welt nicht mehr an das eventuelle Blutbad denkt – zur Erinnerung: Die Weltgemeinschaft feierte die Olympiade in Beijing 2008 -  20 Jahre nach dem Blutbad auf dem Tiananmen-Platz 1989. Gleichzeitig sieht man die USA seit der Trump-Präsidentschaft im Abschwung, ein Eindruck, der sich im in der Corona-Zeit abgeschotteten China noch verstärkt hat – ein „window of opportunity“ für die VRC. Xi brachte es bei seinem Besuch in Moskau im März 2023 auf den Punkt: „Wir sehen nun Veränderungen, die wir seit 100 Jahren nicht gesehen haben, und wir sind die beiden, die diese Veränderungen vorantreiben.“

Wie reagiert die internationale Staatengemeinschaft auf die jüngsten Entwicklungen im China-Taiwan-Konflikt und wie ist ein potenzielles Eingreifen der USA im Falle einer Konflikteskalation zu bewerten?

Die Staatengemeinschaft teilt sich derzeit in drei Gruppen auf – die „Gleichgesinnten“ („like-minded“) Staaten, die mit den USA eine regelbasierte Weltordnung aufrechterhalten wollen, diejenigen, die sich gemeinsam mit China und Russland eine Veränderung wünschen und diejenigen, die trotz alledem noch hoffen, sich heraushalten zu können. Ein Krieg in der Taiwan-Straße würde diese regelbasierte Ordnung auf den Kopf stellen und gleichzeitig schlimmste Folgen für die Weltwirtschaft haben. Daher versuchen alle drei Seiten, zu beschwichtigen. Trotz alledem steht für die USA mehr auf dem Spiel als „nur“ einer frei gewählten Demokratie beim Überleben zu helfen. Wird Taiwan Teil der VRC, haben die USA ein sehr großes Sicherheitsproblem. Daher ist ein Eingreifen der USA, sollte es zu einem militärischen Angriff auf Taiwan kommen, sehr wahrscheinlich.

Welche Rolle spielen Cyberangriffe und Desinformationskampagnen im China-Taiwan-Konflikt?

Eine enorme Rolle. Bereits der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt, dass Kriege heutzutage auf allen Bereichen geführt werden – auf dem Schlachtfeld genauso wie im Cyber- und Informationsraum. Bereits jetzt ist Taiwan Angriffspunkt von dutzenden Cyberangriffen pro Tag. Desinformationskampagnen sind an der Tagesordnung und wirkten sich 2016 das erste Mal signifikant auf Wahlen aus, weshalb Taiwan 2020 vor der Präsidentschaftswahl als einer der Ersten ein „Nicht-Einmischungsgesetz“ für ausländische Akteure mit hohen Geldstrafen erlassen hat. Vor der Präsidentschaftswahl 2024 werden bereits heutzutage die Cyber- und Desinformationsmaßnahmen beobachtet und eine weitere Zunahme erwartet.

Wie wirkt sich der China-Taiwan-Konflikt auf die geopolitische Ordnung in (Ost-) Asien aus?

Die südostasiatischen Staaten – insbesondere ihre „Association of South East Asian Nations (ASEAN)“ – bemühen sich, eine spannungsverringernde Rolle zu spielen, aber ihre Mittel sind begrenzt. Insgesamt heizt sich die Situation in der Region und darüber hinaus auf, wie das Treffen der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) Ende August 2023 zeigte. Dort versuchten China und Russland, die anderen Staaten auf eine „Anti-West-Allianz“ einzuschwören – bisher allerdings noch ohne Erfolg, da Staaten wie Indien und Brasilien sich hier nicht einreihen wollen, obgleich aber auch eigene Ideen für eine neue Weltordnung haben.

Ein Blick in die Zukunft: Wie könnte sich der Konflikt in den nächsten Monaten weiterentwickeln?

Xi und die KPCh werden mit Hilfe von „Grauzonen-Aktivitäten“, also allen Aktivitäten, die unterhalb einer militärischen Eskalationsstufe stehen, versuchen, den Status Quo weiter zu pushen. Bereits jetzt kommt es fast täglich zu Beinahe-Zusammenstößen mit der chinesischen Küstenwache, die die philippinische Küstenwache mit Wasser- und Laserkanonen beschießt, etc. – damit will man in Beijing erreichen, dass die Vorherrschaft der VRC in diesen Gewässern anerkannt wird bzw. ihr Anspruch, diese seien alle chinesisch. Gleichzeitig baut die VRC militärische Stützpunkte auf den umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer aus. Auf der Seite der „Gleichgesinnten“ werden die „Signaling“-Aktivitäten ausgebaut, also das offensive Zeigen, dass man die regelbasierte Weltordnung – und hier besonders die United Nations Convention of the Law of the Sea (UNCLOS) – unterstützt durch Durchfahren des Seegebiets und intensivierte Kooperation mit Taiwan, aber auch zwischen den potentiellen Schutzmächten USA, Japan, Australien und Taiwan. Die Spannungen werden weiter ansteigen.


Portraitfoto von May-Britt Stumbaum

 

PD Dr. habil. May-Britt Stumbaum ist Team Lead Asia Pacific Security am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der UniBw M (© Universität der Bundeswehr München/Siebold)

 

 

 

 


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