Resilienz und Psychische Stabilität in Zeiten des Krieges

24 März 2022

Auch wenn wir ungleich weniger massiv von dem Angriffskrieg gegen die Ukraine betroffen sind als die dort lebenden Menschen und die zahlreichen Flüchtlinge, stellt sich die Frage: Wie sollen wir mit unseren Ängsten und unserer Ohnmacht umgehen?

Ein Beitrag von Prof. Karl-Heinz Renner, Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik

Der Krieg in der Ukraine hat für viele dort lebende Menschen und Flüchtlinge unvorstellbares Leid gebracht. Dieses physische und psychische Leid zu lindern, ist jetzt eine zentrale Aufgabe für die freiheitlich-demokratische Staatengemeinschaft. Der Krieg in der Ukraine ist zudem räumlich und politisch näher, als alles, was wir bisher erlebt haben. Weiterhin ist es schwierig, vorherzusagen und zu kontrollieren, wie dieser Krieg weitergehen wird. Unser bisheriges Weltbild und die vermeintliche Gewissheit, dass wir in einem sicheren, friedlichen Europa leben, sind extrem ins Wanken geraten. All diese Bedingungen können zu Stress, Destabilisierung, Angst und auch Wut führen. Was können wir jetzt tun, um unsere Ängste, Fassungslosigkeit und Ohnmacht zu bewältigen?

Psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) stärken

Resilienz ist bereits seit Beginn der COVID-19-Pandemie als wichtiger Schutzfaktor gegen Stress immer wieder ins Feld geführt worden. Resilienz bedeutet psychische Widerstandsfähigkeit, d.h. die Fähigkeit, angesichts von Stress, Traumata, Bedrohungs- und Gefahrenlagen psychisch stabil zu bleiben bzw. relativ schnell wieder das psychische Gleichgewicht zu erreichen. Resilienz kann gestärkt werden, indem wir uns unsere eigenen Ressourcen, d.h. Stärken und Kraftquellen, bewusstmachen und diese nutzen. Ressourcen können Persönlichkeitsmerkmale sein, z.B. Optimismus oder bestimmte Kompetenzen in Bereichen wie Sport oder Musik. Aber auch soziale, materielle und ideelle Ressourcen sind wichtig, um unter Belastung widerstandsfähig zu bleiben, d.h. Familie und Freunde, eine schöne Wohnung oder ein sinnhafter, erfüllender Beruf. Nicht zuletzt können auch ein strukturierter Alltag und kleine positive Rituale, sogenannte Daily Uplifts, unsere Widerstandsfähigkeit und unser Wohlbefinden steigern. Zu solchen Daily Uplifts zählen z.B. die bewusst genossene Tasse Kaffee am Morgen oder der tägliche Spaziergang.

Helfen kann helfen!

Was aber können wir noch und insbesondere auf den Krieg in der Ukraine bezogen tun, um unsere Ängste und unsere Ohnmacht zu bewältigen? Helfen kann helfen! Wir sind nicht vollkommen ohnmächtig und machtlos, sondern können etwas tun, um die Auswirkungen des Krieges zu mildern, z.B. Geld spenden oder Kleidung, lokale Initiativen unterstützen oder sogar Flüchtlinge aufnehmen, wenn freier Wohnraum zur Verfügung steht. Wir können auch gemeinsam mit anderen Solidarität gegenüber der Ukraine ausdrücken und auch gegenüber all jenen russischen Bürgerinnen und Bürgern, die gegen den Krieg demonstrieren und dabei Leib und Leben riskieren.

Über negative Gefühle sprechen und auf sich achten

Negative Gefühle wie Angst und Wut können uns überschwemmen und lähmen. Wenn wir uns solche Gefühle „von der Seele reden“, besteht die Möglichkeit sie in ein „kohärentes Narrativ“ zu bringen, d.h. sie zu verstehen, zu erklären und zu überlegen, was man tun kann um diese Gefühle zu bewältigen. Unter hohem Stress neigen wir mitunter zu einem ungesunden Lebensstil, d.h. zu mehr Alkohol und Nikotin, weniger Bewegung und Schlaf, zu viel (ungesundem) oder zu wenig Essen. Gerade in belastenden Zeiten wie diesen, ist es aber besonders wichtig, auf sich zu achten, sich ausreichend zu bewegen und zu schlafen, in die Sonne zu gehen und vernünftig zu essen, um zu regenerieren und Kräfte zu sammeln. Um die physiologische Übererregung loszuwerden, die mit Stress einhergeht, helfen Bewegung und spezifische Entspannungstechniken, z.B. Achtsamkeitsmeditationen, zu denen Audio-Instruktionen auch frei im Internet verfügbar sind.

Umgang mit (sozialen) Medien und der Dialog mit Kindern

Einerseits können wir die schreckliche Realität des Krieges nicht einfach leugnen; es ist aber auch nicht sinnvoll, 24 Stunden am Tag die Nachrichten über den Krieg zu verfolgen. Hilfreich kann es sein, Zeiten festzulegen, zu denen man sich über den Krieg informiert und darüber nachdenkt, darüber redet und Zeiten, zu denen man sich bewusst etwas Gutes tut, um Kraft zu sammeln.

Zuallererst ist es wichtig, sich Zeit für unsere Kinder zu nehmen und da zu sein, d.h. wirklich aufmerksam zuzuhören. Selbstverständlich müssen wir die Fragen und Sorgen unserer Kinder ernst nehmen und dürfen Sie nicht abwehren, nach dem Motto, das verstehst Du nicht, das ist kein Thema für Kinder! Da die meisten Kinder Zugang zu sozialen Medien haben, können sie mit verstörenden Nachrichten und Bildern über den Krieg konfrontiert werden. Deshalb ist es wichtig, einen altersgemäßen Zugang zum Internet sicherzustellen und über verstörende Nachrichten zu sprechen, sie einzuordnen und auch auf Falschmeldungen hinzuweisen. Kindgerechte Nachrichtensendungen können dabei helfen, den Krieg für Kinder verstehbar zu machen.

Besonders kleine Kinder brauchen Stabilität, deswegen sollten Eltern möglichst versuchen, Ruhe und Zuversicht zu vermitteln, ohne die Situation zu verharmlosen. Bei älteren Kindern und Jugendlichen kann die eigene Ratlosigkeit und Unsicherheit zugegeben werden. Wichtig ist es dann, gemeinsam zu überlegen, wie und wo Antworten gefunden werden können und was getan werden kann, um mit der eigenen Angst umzugehen (z. B. Beten, Demonstrieren, Spenden). Gerade Kindern kann die Erfahrung, ein klein wenig etwas tun zu können, helfen, um ihre Ängste und das Gefühl, wie gelähmt zu sein, zu bewältigen. Ganz in diesem Sinne hat es auch den Autor dieses Beitrags bewegt, als er bei einem Spaziergang auf einige Kinder traf, die selbstgebackenen Kuchen verteilten und um Spenden für die Ukraine baten.


Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie im Internet unter:

https://www.dgps.de/schwerpunkte/psychologische-hilfe-ukraine/

https://www.servicestelle-jugendschutz.de

https://www.frieden-fragen.de

Interview mit Prof. Renner zum Thema "Psychische Stabilität - Was können wir dafür tun?" in der BR-Mediathek >

Weitere Informationen zur Professur finden Sie auf der Professur-Website >


Titelbild: © gettyimages/akinbostanci