Höherer Stellenwert für Menschenrechte in der Wirtschaft
1 April 2021
Ein Beitrag von Prof. Michael Eßig, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Beschaffung und Supply Management
Nach langen und heftigen Diskussionen hat das Bundeskabinett Anfang März 2021 den Entwurf des sogenannten „Lieferkettengesetzes“ verabschiedet. Es trägt offiziell den Titel „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ und wird deshalb vom federführenden Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auch als „Sorgfaltspflichtengesetz“ bezeichnet.
Durch dieses Gesetz – so wortwörtlich im Referentenentwurf vom 1. März – „werden in Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte durch die Implementierung der Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen.“
Ein steiniger Weg
Warum war der Weg zu diesem Gesetz so steinig und der Inhalt so umstritten? Tatsächlich reicht der Ursprung des Gesetzes weit zurück und die Zahl der Beteiligten bzw. Interessierten ist groß. In der Bundesregierung waren neben dem BMAS auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beteiligt, auf Seiten der Zivilgesellschaft gibt es bereits seit vielen Jahren eine Initiative Lieferkettengesetz, der Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen angehören. Seinen Ursprung hat das Gesetz im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, der bereits im Dezember 2016 von der Bundesregierung versabschiedet wurde.
Ziel ist es, weltweite Menschenrechtsverstöße zu ahnden, in dem grundlegende Menschenrechtsstandards eingehalten und ausdrücklich nicht deutsche bzw. westeuropäische Sozialstandards eingeführt werden sollen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass weltweit 152 Mio. Kinderarbeiter und 25 Mio. Menschen in Zwangsarbeit tätig sind, für die auch Deutschland eine Verantwortung trägt. Das Argument, dass die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in erster Linie staatliche Aufgabe ist, greift zu kurz. Gerade die deutsche Wirtschaft ist mit ihrer globalen Verflechtung in besonderem Maße gefordert, auch ihre Lieferketten (sog. „Supply Chains“) aktiv zu steuern: Ein Unternehmen wie z.B. Volkswagen hat im Jahr 2016 bei einem Umsatz von über 217 Mrd. € Güter und Dienstleistungen im Wert von über 166 Mrd. € von Zulieferern bezogen – und das weltweit. Unterstellt man bei einem multinationalen Konzern 5.000 direkte, sog. 1st Tier-Lieferanten, also Lieferanten, die dem Produzenten am nächsten stehen (was nicht unrealistisch ist), ergeben sich bereits auf der nächsten Ebene gigantische Zahlen: Wenn jeder zweite dieser Lieferanten nur 500 2nd Tier-Lieferanten hat, so errechnen sich bereits 1.250.000 Lieferanten auf der zweiten Ebene der Supply Chain (Lieferkette).
Trennung nach unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern
Das Lieferkettengesetz sieht daher eine abgestufte Verantwortung vor, es wird nach unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern getrennt. Für erstgenannte sind Maßnahmen wie Grundsatzerklärungen zur Achtung der Menschenrechte, die Durchführung einer Risikoanalyse, die Etablierung eines Risikomanagements (inkl. Abhilfemaßnahmen) mit Beschwerdemechanismus und Berichtspflicht sowie Pflichten zu konkreten Abhilfe- und Präventionsmaßnahmen enthalten. Strittig war und ist, wie stark Unternehmen bzw. ihr Management haftbar gemacht werden können bzw. sollen.
Die Tatsache, dass derzeit (noch) kein europaweit einheitliches Lieferkettengesetz vorliegt, nehmen Gegnerinnen und Gegner des Lieferkettengesetzes zum Anlass, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu fürchten. Dieses Argument greift jedoch viel zu kurz: Zwar ist die sogenannte Corporate Social Responsibility (CSR) „mehr als Menschenliebe“ (wie es die CSR-Forscherin Fröhlich 2015 bezeichnete) und hat natürlich eine ökonomische Dimension – aber niemand wird behaupten, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Verstoß gegen selbstverständlichste Prinzipien wie Freiheit von Zwangsarbeit, Schutz von Kindern und gerechten Arbeitsbedingungen (bspw. Arbeits- und Gesundheitsschutz) beruht.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Bath und Cardiff haben Forscher der Universität der Bundeswehr München um Prof. Michael Eßig bereits 2014 am Beispiel öffentlicher Auftraggeber nachgewiesen, dass insbesondere die Berücksichtigung sozialer Ziele bei der Auswahl von Lieferanten noch hinter der Implementierung ökologischer Standards zurücksteht. Nicht zuletzt die Rolle der Verbraucherinnen und Verbraucher ist zentral: Supply Chains werden durch Kundenaufträge gesteuert – und kein Kunde möchte mit Ausbeutung erstellte Produkte erwerben. Dazu muss dann auch die Bereitschaft steigen, für dies Produkte mehr Geld auszugeben und so den Wohlstand (besser) zu verteilen.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Arbeitsgebiets Beschaffung >>
Weitere Informationen zum Lieferkettengesetz auf der Website des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung >>
Titelbild: © iStockphoto / undefined