Das große Corona-Komplott? Ein Interview mit Prof. Richter

2 Juni 2020

Je länger die Pandemie andauert, umso mehr Verschwörungstheorien und Fake-News machen in den sozialen Netzwerken die Runde. Was ist der Grund dafür? Und was steckt eigentlich hinter dieser Entwicklung?

Ein Interview mit Prof. Hedwig Richter, Professur für Neuere und Neueste Geschichte

Frau Prof. Richter, im Moment tauchen im Zuge der Corona-Krise die unterschiedlichsten Verschwörungstheorien auf, da hört man von einem Plan zur Zwangsimpfung der Menschheit, von finsteren Mächten, die eine neue Weltregierung etablieren wollen oder von der Übernahme der Weltherrschaft durch Bill und Melissa Gates. Was sagen Sie zu diesen Gedanken und Theorien?

In Zeiten der Krise sind Menschen verunsichert. Und damit können einige nicht gut umgehen. Eine Minderheit sucht daher nach klaren und starken Erklärungen. Verschwörungstheorien bieten das: Sie reduzieren die Kompliziertheit der Krise und ihre Unabwägbarkeiten auf einen klaren Punkt – einen Schuldigen etwa. Und sie ermächtigen ihre Anhängerinnen und Anhänger: Denn diejenigen, die an diese Mythen glauben, sind nicht nur von ihrem überlegenen Wissen überzeugt, sondern oft auch davon, dass Sie einen Ausweg kennen und die Menschheit retten können.

Sind Verschwörungstheorien heute verbreiteter als früher?

Nein. Ganz im Gegenteil. Heute sind es Minderheiten, die an so etwas glauben – und unter denen sind es wiederum nur Minderheiten, die durch ihre Glaubensvorstellungen zur Aktion angetrieben werden und dafür auf die Straße gehen. Wir sollten ja nicht übersehen, dass die paar tausend Menschen, die regelmäßig im Fernsehen als Verschwörungstheoretiker gezeigt werden, eine winzige Minderheit unserer Bevölkerung sind. Grob gesagt, lebten Menschen in der Vormoderne grundsätzlich in solchen Vorstellungswelten: Eine dunkle Macht bringt Krankheit, eine höhere Gewalt schickt den Donner, der böse Blick der Nachbarin hat zum Tod des Kindes beigetragen. Und so weiter. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war die schrecklichste Verschwörungstheorie, der Antisemitismus, in Deutschland Staatsdoktrin.

Was hat sich im Laufe der Geschichte also im Hinblick auf Verschwörungstheorien geändert?

Verschwörungstheorien bekamen mit dem Aufkommen der Wissenschaft und mit der Aufklärung eine ernsthafte Konkurrenz: das empirische Wissen. Nun gibt es eine rationale Erklärung für das verdorbene Wasser im Brunnen und für die Pest. Aber es dauerte seine Zeit, bis sich das Wissen durchsetzen konnte. Zumindest in den freien Gesellschaften ist es doch Konsens, dass wir mit der Suche nach rationalen Ursachen von Krankheiten und Krisen weiterkommen.  

Wer ist besonders anfällig für sie? Und warum?

Es sind jene, für die unsere moderne Welt einfach zu kompliziert ist. Nicht zufälligerweise sind das oft auch Gegner und Gegnerinnen der parlamentarischen Demokratie, die ja doch ein ziemlich komplexes System ist. Im Kern sind Verschwörungstheorien antimodern und antiaufklärerisch. Umfragen zeigen zudem, dass es eher Menschen sind, die nicht mit Ambivalenz umgehen können. Und in dieser Minderheit neigen eher Männer zu Verschwörungstheorien als Frauen. Aber alles in allem bleibt es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass die große Mehrheit sich eben nicht von so etwas den Kopf vernebeln lässt.

Eine abschließende Frage: Wie kann man Personen entgegentreten, die Verschwörungstheorien verbreiten?

Ich denke, es ist einerseits schwierig, diese Menschen mit rationalen Argumenten zu erreichen. Andererseits können Informationen im Vorfeld Menschen gegen Verschwörungstheorien immunisieren. Bei der Impffrage hat man womöglich zu wenig aufgeklärt, so dass sich die Vorstellung ausbreiten konnte, Impfen sei eine Gefahr für die Kinder – anstatt die Offensichtlichkeit ins Bewusstsein zu rücken, dass die Menschheit Dank der Impfstoffe viele Krankheiten überwunden und Millionen Menschenleben gerettet hat.


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Titelbild: © iStockphoto / Derick Hudson