Schäden durch Naturkatastrophen oft nicht versichert
1 August 2023
Wetterextreme wie Starkregen und Hitzewellen nehmen durch den Klimawandel zu, Elementarschäden steigen deutlich. Prof. Thomas Hartung, Inhaber der Professur für Versicherungswirtschaft an der Universität der Bundeswehr München, über die Auswirkungen solcher Naturgefahren für die Versicherungsbranche.
Starkregen, Hochwasser, Stürme, Hagel, Dürre und Hitzewellen: Solche Klimawandel-induzierten Wetterextreme treten immer häufiger auf und lassen künftig mehr und intensivere Schadenereignisse erwarten. Die Versicherungsbranche verzeichnet in den letzten fünfzig Jahren bereits einen deutlichen Anstieg von Elementarschäden, so Prof. Thomas Hartung, Inhaber der Professur für Versicherungswirtschaft an der UniBw M. Von Starkregen geflutete Häuser und Keller, durch Hagelschlag zerstörte Nutzfläche oder beispielsweise auch vom Sturm beschädigte Photovoltaikanlagen – ein erheblicher Teil dieser oft existenziellen Schäden sei nicht versichert. In vielen Regionen gebe es ein mangelndes Angebot an Deckungskapazität oder auch mangelnde Nachfrage nach Versicherungsschutz: „Dadurch besteht die Gefahr des Zusammenbruchs des Versicherungsmarktes für Katastrophenrisiken“, verdeutlicht der Wissenschaftler.
Risiko wird häufig unterschätzt
In Deutschland sind nur ca. die Hälfte aller Gebäude umfassend gegen Naturgefahren (Elementarschäden) versichert, das zeigt eine Schätzung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. Die Gründe für die unzureichende Versicherungsnachfrage seien vielfältig, meint Prof. Hartung. Zum einen fehle bei vielen das Bewusstsein, dass das eigene Gebäude gegen bestimmte Naturkatastrophen nicht versichert ist. Zudem herrsche teils Desinteresse an Versicherungsschutz, da staatliche Hilfen antizipiert werden. Häufig werde auch schlicht das Risiko unterschätzt – eine gefährliche Fehleinschätzung, wie etwa der Blick auf Starkregenereignisse in Deutschland zeigt. Auswertungen des Deutschen Wetterdiensts lassen vermuten, dass kurze heftige Niederschläge in allen Regionen Deutschlands mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten können. „Es kann wirklich jeden treffen“, betont Prof. Hartung.
Beeinträchtigungen der Versicherbarkeit
Durch die geringe Versicherungsdichte und hauptsächliche Nachfrage in stark gefährdeten Gebieten funktioniere der Risikoausgleich im Kollektiv nur eingeschränkt, erklärt Prof. Hartung. Wenn das Geschäft für die Versicherer nicht profitabel genug sei, müssen die Prämien für die Verbraucher erhöht werden, wodurch die Nachfrage weiter zurückgeht. Ein Problem sei zudem, dass nach Vertragsabschluss oft keine Präventionsmaßnahmen mehr getroffen werden: „Viele sagen dann: Ich bin doch versichert, ich muss nichts machen – die Versicherung zahlt ja im Schadenfall“, so der Versicherungsexperte. Aus diesem Grund sprechen sich Versicherer auch gegen eine Pflichtversicherung aus, da befürchtet wird, dadurch gänzlich den Anreiz für Präventivmaßnahmen wie etwa Flutschutz- oder Rückstauklappen zu verlieren.
Anreize für höhere Versicherungsnachfrage
Eine Maßnahme, um die Versicherbarkeit zu verbessern, sei beispielsweise der Risikotransfer an Rückversicherer und die damit verbundene stärkere regionale Risikoverteilung. Auch risikoadäquate Prämienanpassungen sollen helfen, indem sie Anreize zur Prävention liefern. Wichtig sei auch die Mitwirkung und Unterstützung der klimabezogenen Forschung, um die Versicherbarkeit auf einer validen Datenbasis möglichst genau einschätzen zu können. Für mit den wichtigsten Punkt hält Prof. Hartung verstärkte Risikokommunikation: „Wir müssen es schaffen, das Bewusstsein der Bevölkerung zu schärfen, um die Versicherungsdichte zu steigern und Schutzmaßnahmen zu verstärken.“
Schadenbeteiligung durch den Staat
Mit Blick auf die enormen Schadensummen werde seit Längerem diskutiert, inwieweit sich der Staat an diesen Schäden beteiligen muss, Prof. Hartung erläutert: „Die Frage ist: Soll der Staat unmittelbar bei den Schäden eingreifen, wodurch eventuell Anreizsituationen geschaffen werden, die gar nicht erwünscht sind oder ist eine Prämiensubvention besser? Bei Letzterem würde der Staat Versicherungsschutz bei Versicherern einkaufen und z. B. von Hagelschlag betroffene Weinbauern ab bestimmten Prämienniveaus unterstützen, die sich den Versicherungsschutz selber nicht mehr leisten können. Hier geht die Tendenz eher hin.“
Nichtsdestotrotz wird der Versicherungsschutz teurer werden, da die Lücke zwischen Schadenpotenzial und dem, was bisher versichert ist, momentan tendenziell noch größer werde, bilanziert Prof. Hartung. Gesamtgesellschaftliches Ziel müsse es daher sein, diesen „Protection Gap“ zu verringern.
Prof. Thomas Hartung ist Inhaber der Professur für Versicherungswirtschaft an der Universität der Bundeswehr München (© Universität der Bundeswehr München)
Titelbild: © gettyimages/Elmar Gubisch