Der Einsatz neuer Technologien bei Wahlprozessen

12 März 2020

Im Rahmen der Kommunalwahlen in Bayern erhalten die Wählerinnen und Wähler wie schon vor sechs Jahren beim Besuch ihres Wahllokals mehrere großformatige bedruckte Stimmzettel, die es direkt vor Ort – oder bei vorangegangener Briefwahl zuhause – zu befüllen gilt. Aber wie lange wird dieses Modell in dieser Form noch angewandt werden, wann löst der digitale Wahlzettel den gedruckten ab oder, noch weitergedacht, wann werden wir unsere Stimmen im Internet abgeben können? Und wenn diese neuen technologischen Veränderungen umgesetzt werden: welche Vorteile bringen sie und vor welche Herausforderungen stellen sie uns?

Autorin: Prof. Dr. Christina Binder, E.MA

In immer mehr Ländern auf der Erde werden neue Wahltechnologien eingesetzt: so sind etwa in Wahllokalen Wahlcomputer im Einsatz, die entweder den Wahlzettel digitalisiert erfassen oder eine direkte elektronische Stimmabgabe ermöglichen. Noch weitergehende Formen wie Online-Wahlen – bislang erst in wenigen Staaten, wie Estland, praktiziert – machen eine Stimmabgabe auch von zu Hause aus möglich. Der Einsatz neuer Technologien bietet Vorteile wie eine vereinfachte Stimmabgabe und Rationalisierungspotenzial. Es gibt aber auch zahlreiche Herausforderungen, etwa in Hinblick auf die Integrität des Wahlprozesses und das Vertrauen der Wähler.

Internationale Standards und Wahlprinzipien als Beurteilungsrahmen für den Einsatz neuer Technologien

Bei der Bewertung des Einsatzes neuer Technologien in Wahlprozessen stellt sich zunächst die Frage nach dem anwendbaren Beurteilungsrahmen: die Wahlrechtsgrundsätze und -standards bieten sich hier als Maßstab an. Auf völkerrechtlicher Ebene normiert etwa der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte in Artikel 25(b) das Recht jedes Staatsbürgers „bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden“. Dies beinhaltet auch die Öffentlichkeit bzw. Nachvollziehbarkeit der Wahl.

Das geheime Wahlrecht erfordert etwa, dass auch bei Internetwahlen nicht rückverfolgbar sein darf, wie jemand gewählt hat. Somit dürfen Stimmen Wählern nicht zuordenbar sein. Die Öffentlichkeit der Wahl setzt unter anderem voraus, dass die Ergebnisse nachvollziehbar sind und erfordert eine gewisse Transparenz bei der Auszählung der Stimmen. So muss die Integrität der Wahl auch bei digitalisierter Stimmabgabe gewährleistet sein. Das allgemeine Wahlrecht, das auch auf eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung zielt, bildet den Gradmesser für die Auswirkungen des Einsatzes neuer Technologien auf die Wahlbeteiligung.

Potenzielle Vorteile des Einsatzes neuer Technologien bieten die mögliche Erhöhung der Wahlbeteiligung, da es Bürgern, die nicht selbst ins Wahllokal kommen können, die Teilnahme am Wahlprozess wesentlich erleichtert – etwa wenn sie im Ausland leben oder aufgrund von Krankheit oder Behinderung verhindert sind. Der Einsatz neuer Technologien eröffnet auch Rationalisierungsmöglichkeiten, die die Stimmauszählung und Veröffentlichung der Resultate zu beschleunigen vermögen. Zudem ist er – vor allem längerfristig – kostengünstiger und weniger ressourcenintensiv betreffend Personal.

Herausforderungen stellen sich vor allem im technischen Bereich, etwa bei der Identifizierung und Authentifizierung der Wähler, mit möglichen Folgen für die Integrität des Wahlprozesses. Andere Fragen betreffen den generell verminderten Zugang zu neuen Technologien insbesondere von ärmeren, älteren, bildungsferneren und/oder ländlichen Bevölkerungsschichten und die damit zusammenhängenden negativen Folgen für die Allgemeinheit der Wahl. Mit Blick auf die Öffentlichkeit der Wahl ist insbesondere zu beachten, dass es für Wähler teils schwer nachvollziehbar ist, wie die Stimme gespeichert und gezählt wird. Letzteres war auch einer der hauptsächlichen Entscheidungsgründe des deutschen Bundesverfassungsgerichts bei der Unzulässigkeitserklärung des Einsatzes von Wahlcomputern im Jahr 2009. Wird per Internet von zu Hause aus gewählt, ist zudem die Gefahr der Wähler-Beeinflussung und des Stimmenkaufs erhöht.

Zunehmende Digitalisierung birgt Gefahren

Generell stellt das Vertrauen der Wähler in den Wahlprozess eine zentrale Herausforderung beim Einsatz neuer Technologien dar. Darüber hinaus eröffnet eine zunehmende Digitalisierung die Gefahr der Einflussnahme auf Wahlergebnissen von außen, wie insbesondere im Zusammenhang mit den Vorwürfen der letzten Jahre gegenüber Russland ersichtlich wird. So kann eine komplett digitalisierte Wahlinfrastruktur mit unzureichenden Sicherungssystemen anfällig sein für verschiedenartige Manipulationen, von Namenslöschungen im Wahlregister bis zur direkten Fälschung von Wahlergebnissen.

Der Einsatz neuer Technologien ist also situationsbezogen zu beurteilen, sowie abhängig von der Form des Einsatzes (Wählen in der kontrollierten Umgebung des Wahllokals versus Stimmabgabe in unkontrollierter Umgebung zu Hause) ebenso wie unter Berücksichtigung anderer Faktoren wie die Transparenz des Wahlprozesses, das Vertrauen der Wähler, der Schutz vor Manipulation etc.. Die abschließende Bewertung wird entsprechend variieren.  Dabei findet fortlaufend eine Weiterentwicklung der eingesetzten Technologien statt. Vielleicht löst bei den nächsten Wahlen also auch in Bayern die elektronische Stimmabgabe die großformatigen Wahlzettel ab?


Titelbild: © iStockphoto/CarmenMurillo