Studie von Prof. Fairhurst: „Jüngere Menschen sind einsamer“

21 Januar 2021

Keine Umarmung, weniger Berührungen – seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich unser soziales Leben stark verändert. Was macht das mit unserer Psyche?

Ein Interview mit Prof. Merle Fairhurst, Professorin für biologische Psychologie

Prof. Fairhurst, im Mai vergangenen Jahres starteten Sie in Zusammenarbeit mit der LMU München und der Liverpool John Moores University eine Studie, die untersucht welche Auswirkungen die Selbstisolation auf das mentale, psychologische und emotionale Wohlbefinden der Menschen hat. Können Sie einen Zwischenstand geben, zu welchen Ergebnissen Sie bis heute gekommen sind?

Prof. Fairhurst: Seit Beginn unseres Projekts haben wir über 1.700 Personen getestet. Die Studie befindet sich jetzt in der 3. von 4 Datenerhebungsphasen. Unsere Studie ist die einzige, die sich mit dem anhaltenden Effekt der Selbstisolation, Änderungen des Berührungsverhaltens und den daraus resultierenden Auswirkungen auf das Wohlbefinden befasst. In der ersten Phase sahen wir, dass eine erhebliche Anzahl von Menschen einen Hunger nach Berührung verspürte. Unsere Daten zeigen, dass dieser „Hunger“ jedoch spezifisch für Familienmitglieder ist (wir vermeiden tatsächlich aktiv die Berührung durch einen Fremden, vermutlich aufgrund des wahrgenommenen Risikos für unsere Gesundheit). Diejenigen, denen die Berührung fehlt, sind einsamer und diejenigen, die sich weniger mit anderen verbunden fühlen, sind gestresster und depressiver.

Bei der Befragung werden die unterschiedlichsten Altersgruppen berücksichtigt. Welche Altersgruppe triff der Verzicht auf Berührung und Körperkontakt am härtesten? Und warum ist das so?

Prof. Fairhurst: Wir haben Menschen von 15 bis 76 Jahren getestet. Interessanterweise stellen wir einen signifikanten Alterseffekt fest, so dass jüngere Menschen die Auswirkungen der Selbstisolation am meisten zu spüren scheinen. Jüngere Menschen sind einsamer, depressiver und mehr lethargisch. Die Hypothese, die wir haben (und die wir jetzt in einem Folgeexperiment testen), lautet, dass jüngere Menschen vor Ausbruch der Pandemie eher an mehr täglichen sozialen Kontakt gewöhnt waren und daher Erwartungen haben, die nicht erfüllt wurden.

Sie sagen, wenn wir umarmt werden, löst dies eine chemische Reaktion aus, die die sozialen Interaktionen erhöht, Stress reduziert und sogar die Schmerzempfindlichkeit modulieren kann. Was passiert, wenn diese Umarmung nicht mehr stattfindet?

Prof. Fairhurst: Glücklicherweise haben wir biologisch viele Möglichkeiten, denselben chemischen Cocktail zu stimulieren. Selbstpflege, Essen und Sport verringern das Cortisol und reduzieren den Stress, während Oxytocin, das Glückshormon, erhöht wird. Dies sind möglicherweise keine langfristigen Korrekturen, aber wir sehen aus unseren Daten, dass diejenigen die mit der Selbstisolation am besten zurechtkommen, Wege finden, um einen Mangel an Berührung auszugleichen.

Den Handschlag gibt es in unserer Zeitgeschichte bereits so lange, dass kein genauer Ursprung bekannt ist. Historisch nachweisbar ist aber, dass die Geschichte des Händeschüttelns bis in die Antike zurückreicht. Wie groß wird die Veränderung hinsichtlich Berührungen sein, wenn die Pandemie zu Ende ist? Wird es dann ein Ritual wie das Händeschütteln überhaupt noch geben? Oder werden wir in der Zukunft andere Begrüßungsrituale entwickeln?

Prof. Fairhurst: Ich glaube, das Händeschütteln ist nur eine der Möglichkeiten, wie wir einen sozialen Austausch initiieren können. Ein anderer ist durch Augenkontakt. Ich hoffe, wenn wir nicht in der Lage sind, Berührungen zu verwenden, werden wir andere Wege finden, um zu sagen: „Ich bin bereit zuzuhören“. Vielleicht sind wir sogar sensibler dafür, ob jemand bereit und willig ist, sich auf eine soziale Interaktion einzulassen. Wir dürfen nicht vergessen, dass manche Menschen sehr erfreut sind, andere Menschen nicht berühren zu müssen. Aus unserer Stichprobe geht hervor, dass 85% unserer Befragten sagen, dass sie weniger Kontakt bekommen, wie sie wollen, aber 15% fühlen sich immer noch zu oft berührt. Nicht jeder hat den gleichen „Hunger“ nach Berührung.

Mit den Ergebnissen Ihrer Umfrage wird eine App entwickelt, mit der "Umleitungsmechanismen" trainiert werden können. Wie kann man sich diese App vorstellen?

Prof. Fairhurst: Die App wurde während der Vorbereitung der Studie entwickelt und war eine Möglichkeit, die wir in Zeiten der Not zurückgeben konnten. Wir haben eine Gelegenheit gesehen, denjenigen zu helfen, die sich von ihrem Tastsinn getrennt fühlen, so dass sie Stress abbauen und sich eher auf die Qualität der Berührung als auf ihre Quantität konzentrieren können. 

Wir hoffen, dass die App durch Expertenvideos, in denen die Wissenschaft hinter Berührungen erklärt wird, und praktische Übungen, die Menschen bequem von zu Hause aus durchführen können, hilft, diese schwierige Situation besser unter Kontrolle zu halten.

In Ihrem Forschungsprojekt „Hands on“ geht es darum, den eigenen Berührungssinn zu trainieren, was zu mehr Achtsamkeit, zur Stressregulierung und zum besseren Kennenlernen des eigenen Körpers verhelfen soll. Eine Alternative gerade jetzt in Corona-Zeiten?

Prof. Fairhurst: Das ist die Hoffnung, ja. Meine Kernbotschaft ist, dass wir versuchen können, das Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen, um die Berührung wieder in den Fokus zu rücken und uns grundlegende Fragen darüber zu stellen, wie etwa: Was bedeutet für mich/uns Berührung? Von wem werde ich/werden wir gerne berührt? Auf diese Weise, könnten wir es noch höher schätzen, wenn wir endlich in der Lage sind, die Menschen, die wir gerne haben, zu erreichen und zu umarmen.

 

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Titelbild: © iStockphoto / Marco_Piunti