Schweigen über sexualisierte Gewalt brechen

22 Oktober 2024

Prof. Inga Schalinski von der Professur Klinische Psychologie und Traumatherapie an der UniBw M gibt auf dem Kongress „Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe“ Einblicke in Traumafolgestörungen.

In Friedenszeiten bleibt sie beständig, eskaliert in bewaffneten Konflikten und setzt sich häufig in Nachkriegsgesellschaften fort: Sexualisierte Gewalt. Auf dem Kongress „Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe“ der CDU/CSU diskutierten Politikerinnen und Politiker, Expertinnen und Experten sowie Betroffene am 16. Oktober 2024 im Deutschen Bundestag in Berlin darüber, wie sexualisierte Gewalt eingedämmt werden kann. Eine der Referentinnen: Prof. Inga Schalinski von der Professur Klinische Psychologie und Traumatherapie an der Universität der Bundeswehr München (UniBw M).

Prof. Schalinski gab in der Diskussionsrunde Einblicke in die Auswirkungen und Behandlungsmöglichkeiten von Traumafolgestörungen. Als Mitglied der internationalen Nichtregierungsorganisation Vivo hat sie sowohl mit Betroffenen als auch mit Tätern in Ostkongo, Ruanda und Norduganda gesprochen. Dabei betonte sie die Herausforderungen im gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt – ein Phänomen, das wir auch in Deutschland aus der Nachkriegszeit kennen und dessen intergenerationale Folgen bis heute spürbar sind.

„Wir schauen weg“

Ein zentrales Problem laut Prof. Schalinski: die kollektive Vermeidung, die in vielen Gesellschaften verbreitet ist - besonders wenn eine große Zahl von Menschen den Gräueltaten des Krieges ausgesetzt war. „Wir schauen weg, schaffen keine Schutzstrukturen, und weitere Gewalt sickert in unsere Gemeinschaften ein“, warnte sie. Dies führe zu einer Zunahme von Gewalt in der Gesellschaft, insbesondere in zwischenmenschlichen Beziehungen – Frauen und Kinder sind davon oft besonders betroffen.

Ein Phänomen sei beispielsweise das „victim blaming“: Betroffene werden dabei für das ihnen widerfahrene Leid verantwortlich gemacht. Ein anderes Phänomen ist die Tendenz, Gewaltausübende als „kranke Monster“ zu dämonisieren. „Das ist zu kurz gedacht“, verdeutlicht Prof. Schalinski, denn: „Wir müssen vielmehr verstehen, was insbesondere Männer dazu bewegt, zu vergewaltigen, wenn sie keine Konsequenzen fürchten.“

Über Erlebtes sprechen, Gewaltkreisläufe durchbrechen

Um Betroffenen wirksam zu helfen, müsse die Gesellschaft die Erfahrungen sowohl der Betroffenen als auch der Gewaltausübenden in das kollektive Gedächtnis aufnehmen. Jede Person, die das Schweigen bricht und offen über das Erlebte spricht, trage dazu bei, Gewaltkreisläufe zu durchbrechen. 

Gleichzeitig wurde betont, dass sexualisierte Gewalt nicht nur politisch relevant ist, sondern auch über eine internationale juristische Ächtung hinaus systematisch in die Aufarbeitung von Konflikten einbezogen werden muss – denn Vergewaltigungen geschehen auf beiden Seiten eines Konflikts. Um den Schutz der Zivilbevölkerung, insbesondere von Frauen und Kindern, in Konflikt- und Postkonfliktgesellschaften zu gewährleisten, braucht es umfassende Strategien, die das Schweigen über diese Verbrechen brechen und nachhaltige Schutzstrukturen etablieren.


Titelbild: V.l.n.r.: Annette Widmann-Mauz, Dorothee Bär, Gesa Bräutigam, Rebecca Schönenbach und Inga Schalinski diskutieren auf dem Kongress „Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe“ (© CDU/CSU-Bundestagsfraktion / Michael Wittig)