Podiumsdiskussion: Alltagsrassismus in Deutschland
17 Februar 2023
Das Forschungszentrum RISK der Universität der Bundeswehr München widmete sich am 13. Februar 2023 mit einer Podiumsdiskussion der Frage „Wird Unsicherheit rassistisch gedacht?“.
Wie kommt es zu Unsicherheitsgefühlen in der Bevölkerung? Anfang Januar 2023 kam durch die Silvesterkrawalle in Berlin und andernorts die aktuellste Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit über Migration und Integration in Deutschland auf. Das Forschungszentrum RISK der Universität der Bundeswehr München widmete sich am 13. Februar 2023 mit einer Podiumsdiskussion der Frage „Wird Unsicherheit rassistisch gedacht?“. Die Juniorprofessur für Unsicherheitsforschung und gesellschaftliche Ordnungsbildung von Prof. Timothy Williams (SOWI) lud zu der Veranstaltung ein.
Auf dem Podium diskutierten Dr. Tareq Sydiq, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg, Prof. Karin Scherschel, Leiterin des Zentrums für Flucht und Migration an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Cemal Bozoğlu, MdL Bayern der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen sowie Karl Straub, MdL Bayern der Fraktion der CSU. Moderiert wurde die Diskussion von der Politikwissenschaftlerin Prof. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing.
Prof. Münch startete die Diskussionsrunde mit der Frage nach rassistischen Erfahrungen im Alltag der Podiumsteilnehmenden, woraufhin sowohl Cemal Bozoğlu als auch Dr. Sydiq von ihren persönlichen Erfahrungen erzählten. Es wurde diskutiert, ob es sich um eine Wahrnehmungsfrage handelt, ob etwas rassistisch sei, oder ob der Alltagsrassismus wie die Frage nach der „wirklichen Herkunft“ einer Person, empirisch begründbare Tatsachen seien.
Gefühl von Unsicherheit
Dr. Sydiq brachte das Thema Unsicherheit in Bezug auf die Polizei auf und berichtete, dass er, als er in München lebte, häufiger von der Polizei kontrolliert worden sei, als in Berlin, was für ihn mit einem Gefühl von Unsicherheit verbunden war. Er stellte die Frage, wen die Polizei eigentlich schütze, wenn sie vermeintlich nichtdeutsch aussehende Menschen häufiger kontrolliere als andere.
Prof. Münch richtete sich mit einer Frage an den CSU-Abgeordneten Straub: „Wie löst man das auf, dass die eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern etwas als Sicherheit wahrnimmt, während es gleichzeitig von anderen, migrantischen Gruppen, eher als Rassismus oder Unsicherheit wahrgenommen wird?“ Straub erwiderte, die Polizei habe in Bayern einen hohen Stellenwert und die Politik stehe hinter der Polizei. Dies trage zum Gefühl der Sicherheit bei allen Gruppen bei. Prof. Scherschel warf ein, dass es sowohl subjektive wie objektive Anhaltspunkte zu Rassismus in Deutschland gebe, was durch eine aktuelle Studie zum Thema Rassismus belegt würde.
Migration kein Wahlkampfthema
Bozoğlu wies darauf hin, dass die Diskussion um die Silvesterkrawalle in der Öffentlichkeit seiner Ansicht nach sehr stark skandalisiert worden sei. Er bedauere, dass das wichtige Thema Migration zu „Wahlkampfgetöse“ werde. Damit stärke man die Kräfte, die unsere Demokratie schwächen wollen, sagte er und bezog sich damit klar auf die AfD.
Auf einer eher kommunalpolitischen Ebene betrachtet Straub das Thema der Aufnahme von Geflüchteten in bayerischen Gemeinden. Er stellte fest, dass es große Herausforderungen mit sich bringe, wenn mehrere hundert Flüchtlinge auf einmal in kleine Orte kämen. So könne bei der Bevölkerung auch ein Unsicherheitsgefühl entstehen.
Prof. Münch gab die Frage an Prof. Scherschel weiter, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Gefühl, dass der Staat die Situation nicht im Griff habe und Rassismus gebe. Die Soziologin erklärte, dass seit dem Beginn der Asylzuwanderung in Deutschland in den 1980er Jahren eine große Entwicklung stattgefunden habe. Es gebe durchaus große Herausforderungen für Kommunen den Zuzug zu organisieren, aber die aktuelle Meinungsmache in der Öffentlichkeit bereite ihr Sorge, dass Menschen angegriffen werden könnten: „Die Hetze trägt in keinem Fall zur Lösung bei“, so Prof. Scherschel. „Ich plädiere sehr stark dafür zu trennen zwischen den Herausforderungen, die diese Flucht jetzt stellt und Meinungsmache im Wahlkampf“, so die Professorin weiter. Es seien große Fragen, die geklärt werden müssen wie die Unterbringung, Bildung, Integration in den Arbeitsmarkt, psychosoziale Betreuung – hierfür würden Antworten gebraucht. „Aber die Antwort ist nicht über Paschas und Sozialtourismus zu sprechen“, sagte sie mit Verweis auf Aussagen des CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz in der jüngeren Vergangenheit.
Verbales Abrüsten
Dr. Sydiq brachte das Thema Abschiebungen und den Umgang damit in die Runde ein. Er beklagte, dass es teilweise aufgrund von politischem Willen möglich sei, Personen abzuschieben, obwohl in Zweifel stehe, ob diese Personen in ihrem Herkunftsland sicher seien. Konkret erinnerte er an die Abschiebung von 69 afghanischen Menschen zum 69. Geburtstag des damaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer. Er unterstellte der Politik einen rassistischen Unterton, wenn Menschen in nicht sichere Herkunftsländer abgeschoben werden. Straub verteidigte das damalige Vorgehen, es seien aus Bayern 23 straffällig gewordene Personen abgeschoben worden, gleichzeitig betonte er aber auch, dass er für „verbales Abrüsten“ sei und die Wortwahl von damals nicht unterstützenswert finde. Über das Asylgesuch entscheide jedoch eine Behörde, keine einzelnen Politiker, so Straub.
Zum Abschluss stellte Prof. Münch der Diskussionsrunde die Frage, ob es eine Möglichkeit gebe, mit Vorkommnissen wie der Silvesternacht 2022 in Berlin, mit Krawallen und Ähnlichem umzugehen, die nicht rassistisch seien: „Wie geht man damit idealerweise um? Oder muss man sich damit abfinden, dass aufgrund der Positionen mancher Parteien Herkunft mit Unsicherheit konnotiert wird?“
Die klare Antwort darauf gab Prof. Scherschel: „Nein, nichts ist vorprogrammiert!“ Es gebe in Deutschland eine positive Entwicklung, da es heute mehr Bewusstsein für Rassismus als noch vor einigen Jahren gebe, weswegen auch solche Diskussionen geführt werden können. „Es wird ja nicht darüber geredet, weil es mehr Rassismus gibt, sondern weil es mehr Bewusstsein dafür gibt.“
Titelfoto (v.l.n.r.): Dr. Tareq Sydiq, Prof. Karin Scherschel, Cemal Bozoğlu, Karl Straub, Prof. Ursula Münch, Prof. Timothy Williams (© Universität der Bundeswehr München/Siebold)