Schaden öffentlich-rechtliche Medien den Märkten?

19 August 2020

Der Einfluss öffentlich-rechtlicher Medien auf den freien Markt ist in vielen europäischen Ländern Diskussionsthema. Dabei wird von Vertreterinnen und Vertretern einiger privater Medien und Parteien argumentiert, dass öffentlich-rechtliche Medien kommerzielle Medien vom Markt verdrängen oder grundsätzlich von einem Markteintritt abhalten.

Trotz der Verbreitung als politisches Argument gibt es nur wenige Studien zu diesem behaupteten Verdrängungseffekt – und insbesondere fast keine Forschung, die unabhängig sowie international vergleichend ist und sowohl Rundfunk- als auch Online-Märkte berücksichtigt. Prof. Annika Sehl, Professorin für Digitalen Journalismus an der Universität der Bundeswehr München und Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford, und ihre Kollegen Dr. Richard Fletcher und Prof. Robert G. Picard (beide Universität Oxford) haben diese Defizite in ihrer aktuellen Untersuchung adressiert, die kürzlich vom „European Journal of Communication“ publiziert wurde. Sie untersuchten mittels einer Analyse der nationalen Rundfunk- und Online-Märkte in allen 28 Ländern der Europäischen Union, ob es Belege für dieses Verdrängungsargument gibt. Dazu werteten sie Daten zu Marktressourcen, Publikumsreichweiten und der Bezahlung für digitale Nachrichten aus, die sie aus veröffentlichten einschlägigen Quellen gewannen, insbesondere dem „Jahrbuch des European Audiovisual Observatory“ und dem „Reuters Institute Digital News Report“.

Wenig bis keine Unterstützung für das Verdrängungsargument

Die Ergebnisse zeigen wenig bis keine Unterstützung für das Verdrängungsargument. Länderübergreifend fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler keinen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen den Einnahmen öffentlich-rechtlicher Medien und denen des kommerziellen Rundfunks pro Kopf oder des Pay-TV. Tatsächlich bemerkten sie sogar das Gegenteil. Es zeigte sich, dass je höher die Einnahmen der öffentlich-rechtlichen Medien pro Kopf waren, desto höher waren auch Einnahmen des kommerziellen Rundfunks pro Kopf sowie bei Pay-TV. Die Ergebnisse hatten auch dann Bestand, wenn man Unterschiede im Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der Länder berücksichtigte.

Die Ergebnisse für den Online-Nachrichtenmarkt sind jedoch weniger eindeutig. Die Analyse deutet darauf hin, dass andere Faktoren den kommerziellen Erfolg von Online-Nachrichtenanbietern beeinflussen. Dabei ist einschränkend zu sagen, dass aufgrund der begrenzten Datenverfügbarkeit (es konnten Daten von 20 Ländern untersucht werden) statistisch bedeutsame Zusammenhänge nur schwer zu ermitteln sind. Kleine Stichprobengrößen können kleine, aber dennoch existierende Zusammenhänge verdecken.

Weitere Forschung nötig

Die vorgestellte Analyse ist eine Querschnittsanalyse. Das bedeutet, dass obwohl öffentlich-rechtliche und kommerzielle Einnahmen zwischen den Ländern positiv miteinander verbunden sein können, es innerhalb der Länder aber immer noch möglich ist, dass ein Anstieg der Einnahmen bei öffentlich-rechtlichen Medien im Laufe der Zeit mit einem Rückgang der kommerziellen Einnahmen einhergeht.

Es war nicht Ziel dieser Studie zu analysieren, ob die kommerziellen Medien etwas profitabler wären, wenn die Finanzierung für öffentlich-rechtliche Medien gesenkt würde. Das Erkenntnisinteresse war vielmehr, ob kommerzielle Medien in Märkten mit einer hohen Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien eine angemessene Investitionsrendite erzielen können. Hintergrund ist, dass der Forschungsstand (siehe für einen Überblick u.a.: Nielsen, R. K., Fletcher, R., Sehl, A., & Levy, D. A. L. (2016). Analysis of the relation between and impact of public service media and private media. Oxford: Oxford University) den größten gesellschaftlichen Nutzen in Mediensystemen sieht, die sowohl über starke öffentlich-rechtliche als auch kommerzielle Medien verfügen.

Die Analyse zeigt, dass es keine Belege dafür gibt, dass beides nicht koexistieren kann. Diese Ergebnisse lassen also Zweifel an der stärksten Version des Verdrängungsarguments aufkommen, da sie entweder darauf hindeuten, dass die kommerziellen Medien von starken öffentlich-rechtlichen Medien profitiert haben oder dass etwaige negative Auswirkungen relativ schwach waren.


Der vollständige Aufsatz ist hier abrufbar: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0267323120903688

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Titelbild: © iStockphoto / Tashi-Delek