Trümmerteile: Satellitenabschüsse als ernstzunehmende Gefahr
26 November 2021
Russland hatte einen ausrangierten Spionagesatelliten abgeschossen. Die entstehenden Trümmerteile, die unkontrolliert um die Erde kreisen, gefährden die zivile, kommerzielle und militärische Raumfahrt in hohem Maße. Kettenreaktionen, die eine Gefahr für Mensch und Umwelt bedeuten würden, sind bei solchen Abschüssen möglich - dabei gäbe es laut Experten an der Universität der Bundeswehr München weit weniger riskante Alternativen.
460 km – das entspricht in etwa der Entfernung von München nach Köln. In ungefähr dieser Entfernung über dem Erdboden fand im November 2021 der Abschuss des russischen Satelliten "Zelina-D“ statt. Mit einer Abfangrakete hatte Russland einen ausgedienten Satelliten abgeschossen und damit für Weltraumschrott gesorgt, der noch über Jahre hinweg Folgen haben wird. Satelliten sind für die Informations- und Führungsfähigkeit eines Landes unerlässlich, ohne sie werden u.a. die Kommunikation und Navigation stark eingeschränkt. Die Universität der Bundeswehr München (UniBw M) ist führend in der Weltraum- und Satellitenforschung. Das Forschungsprojekt „SeRANIS“ an der Universität der Bundeswehr München bereitet aktuell eine eigene Kleinsatellitenmission vor und entwickelt dabei auch neue Technologien zum Schutz von Satelliten.
Trümmerteile gefährden Mensch und Umwelt
Dass Trümmerteile des rund 40 Jahre alten russischen Satelliten die Erde erreichen, ist quasi ausgeschlossen. Nur Teile mit einem Gewicht von mehreren hundert Kilo würden nicht vollständig in der Atmosphäre verglühen und den Boden erreichen. Bei Satelliten ist das meist nicht der Fall. Viel problematischer sind hingegen die Trümmerteile, die unkontrolliert um die Erde kreisen - der sogenannte Weltraumschrott. Sie gefährden die zivile, kommerzielle und militärische Raumfahrt enorm. „Kettenreaktionen von Kollisionen können auch größere Trümmerteile hervorbringen, die dann durchaus eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen“, so Prof. Andreas Knopp von der Universität der Bundeswehr München, der das SeRANIS-Projekt leitet. In ein paar Jahren dürften die Trümmerteile auch die Umlaufbahn der ISS kreuzen. Ob sie eine echte Gefahr darstellen werden, bleibt abzuwarten. Schon jetzt hat der Abschuss aber zu einem kurzzeitigen Aussetzen der Forschungsarbeiten auf der Raumstation geführt.
Abschuss als militärischen Machtdemonstration
Einen Satelliten überhaupt mit einer Abfangrakete zu treffen ist eine enorme Herausforderung: „Satelliten fliegen, je nach Orbit mit 20000-30000 km/h um die Erde. Eine Abschussrakete kreuzt die Flugbahn das Satelliten genau an dem Moment, an dem sich der Satellit an dieser Stelle befindet. Ist die Abschussrakete etwas zu früh oder zu spät dort, verfehlt sie ihr Ziel. Eine große Sprengladung ist dazu nicht unbedingt erforderlich. „Alleine durch die kinetische Energie, die bei diesen Geschwindigkeiten vorliegt, zerbricht ein Satellit in tausende von Teilen“, so Prof. Dr. Christian Mundt von der UniBw M. Vom Boden aus wird die ungefähre Flugbahn des Satelliten erfasst und in die Hochleistungscomputer der Angriffsrakete einprogrammiert. Sobald die Rakete den Satelliten im Visier hat, übernimmt sie die Feinjustierung und letztendlich den Abschuss eigenständig – in einem Bruchteil einer Sekunde. Ein Land, das dazu in der Lage ist, demonstriert militärische Stärke. Das Problem: Es motiviert andere Staaten dazu, ihre Fähigkeiten ebenfalls zu demonstrieren. Ein Wettdemonstrieren im All ist vergleichbar wie das Wettrüsten im kalten Krieg – nur, dass bei jedem Abschuss weiterer Weltraumschrott entsteht. „Es gäbe deutlich ungefährlichere Alternativen, um seine Weltraumkompetenz zu demonstrieren“, so Prof. Roger Förstner von der UniBw M. „Es gibt bspw. Inspektionssatelliten, die bis auf wenige Meter an andere Satelliten heranfliegen und diese beobachten“.
Aktuelle Forschung für die Früherkennung von Angriffen
Ohne ausreichend lange Vorwarnzeiten sind Satelliten nicht in der Lage Ausweichmanöver zu fliegen. Daher zielen aktuelle Forschungsarbeiten darauf ab, Angriffe auf Satelliten rechtzeitig zu erkennen. Prof. Mundt erforscht und entwickelt mit seinem Team für die SeRANIS Satellitenmission ein solches System. „Angriffsraketen senden sehr starke Infrarotwellen aus, die wir mit unseren Technologien frühzeitig erkennen können“, so Mundt. Allerdings ist der Handlungsspielraum für Satelliten begrenzt. Zwar können und müssen Satelliten regelmäßig ihre Flugbahn anpassen, bspw. um einen zu frühen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zu vermeiden, doch diese Manöver sind gut durchgeplant und werden treibstoffeffizient durchgeführt. „Ein kurzes und schnelles Ausweichmanöver bedeutet einen enorm hohen Verbrauch von Treibstoff, den Satelliten oft nicht haben. Beim Start und der Kalkulation der Gesamtlast zählt jedes Gramm. Zum anderen würde es Satelliten möglicherweise aus ihrem Orbit bringen. Im Zweifel würde also ein nicht mehr kontrollierbarer und unbrauchbarer Satellit außerhalb der eigentlichen Umlaufbahn fliegen. Abgesehen davon müssten Satelliten für solche Manöver speziell ausgerüstet sein“, erklärt Prof. Mundt.
Über das Projekt „SeRANIS“
Das Forschungsprojekt „SeRANIS - Seamless Radio Access Networks for Internet of Space“ an der Universität der Bundeswehr wird erstmals in Deutschland eine integrierte Laborumgebung umsetzen, mit deren Hilfe an Mobilfunksystemen der nächsten Generation (6G) sowie an weiteren Schlüsseltechnologien aus den Bereichen Navigation, Erdbeobachtung und Künstlicher Intelligenz geforscht werden kann. Das Projekt ist Teil des Zentrums für Digitalisierung- und Technologieforschung der Bundeswehr (dtec.bw) und wird von beiden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München als gemeinsames wissenschaftliches Zentrum getragen.
Weitere Informationen zu SeRANIS finden Sie auf der dtec.bw-Website >
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