„Never give up“ – Zeuge historischer Ereignisse im Gespräch an der UniBw M
18 Oktober 2021
Der langjährige Berater Helmut Kohls, Außenpolitik- und Wirtschaftsexperte Horst Teltschik im Gespräch an der UniBwM. Vor Studierenden und Gästen der Universität berichtete er über sein Leben.
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Entscheidungen treffen alle Menschen im Laufe ihres Lebens. Einige Menschen entscheiden jedoch nicht nur für sich selbst und im Privaten, sondern für Angestellte, militärisch Untergebene oder eine ganze Bevölkerung. Vor Entscheidungen historischer Reichweite wurde Prof. Dr. h. c. Horst Teltschik in seinem bewegten Leben gestellt. Seine Biographie reicht vom Oberleutnant der Reserve zum Berater Helmut Kohls, vom „Architekt der deutschen Einheit“ zum richtungsweisenden Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz; er war Vorstandsmitglied bei BMW, Präsident der Firma Boeing und ist bis heute Stimme deutscher Außenpolitik. In einem Gespräch mit der Bildungswissenschaftlerin Prof. Manuela Pietraß gab er an der Universität der Bundeswehr München Einblicke in seine Art zu entscheiden und Verantwortung zu tragen.
Im Publikum nahmen Studierende der UniBwM Platz, die sich in der Laufbahn zum Offizier in der Bundeswehr befinden und daher selbst zukünftige Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sein werden, sowie Verantwortung für ihr Handeln und ihre Soldatinnen und Soldaten übernehmen müssen. Als angehende Führungspersonen werden sie im militärischen wie im zivilen Bereich vor Aufgaben gestellt sein, bei denen vorgefertigte Handlungsrezepte allein nicht leiten werden können, darum war es auch Prof. Teltschiks Anliegen an der UniBwM zu sprechen. Außerdem waren der Kommandeur des Landeskommandos Bayern, General Hambach, der Kommandeur der Schule für Informationstechnik der Bundeswehr General Simon, Neubibergs erster Bürgermeister Thomas Pardeller und als Vertreter von ZITIS Leiter Wilfried Karl und Vizepräsident Hans-Christian Witthauer anwesend.
Erinnerungsreiches Leben
Bereits in seinen ersten Lebensjahren erlebte der 1940 im Sudentenland geborene Teltschik harte Einschnitte und Entbehrungen durch den Zweiten Weltkrieg und die Flucht mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Richtung Westen. In Tegernsee in Oberbayern ließ sich seine Familie erneut nieder, hier wuchs Teltschik auf, ging zur Schule und machte sein Abitur. Er sagt, er habe bis heute großes Verständnis für das harte Leben von Flüchtlingen, denn er habe selbst erlebt, wie es sei immer als Außenseiter behandelt und eben als „Flüchtling“ bezeichnet zu werden. Anschluss fand er als Kind und Jugendlicher nur in seiner katholischen Gemeinde, wo er auch eine Jugendgruppe leiten konnte. Schon in dieser Zeit manifestierte sich sein Lebensmotto „Never give up“. Dies sagte er sich oft und lebte danach. Sein Tipp an die Studierenden im Publikum lautete daher auch: „Wenn Sie überzeugt davon sind, dass Sie Recht haben, geben Sie nicht auf.“
Zu Beginn der 1960er Jahre leistete er seine Zeit bei der Bundeswehr ab, die er als Oberleutnant der Reserve verließ. „Leider gab es zu meiner Zeit noch keine Universität der Bundeswehr, vielleicht wäre ich dann auch im Rang eines Offiziers geblieben.“, so Teltschik. Nach seinem Dienst bei der Bundeswehr begann er sein Politik-Studium an der Freien Universität Berlin, wo er auch promovierte. Ab 1970 wandte er sich hauptberuflich der Politik zu.
19 Jahre enger Berater von Helmut Kohl
Nach zwei Jahren als Leiter der Gruppe „Außen- und Deutschlandpolitik“ in der CDU-Bundesgeschäftsstelle in Bonn, gewann ihn der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, als Referent für die Staatskanzlei in Mainz für sich. Nach der Wahl Kohls zum Bundeskanzler 1982 wurde Teltschik Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung „Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik, äußere Sicherheit“ im Bundeskanzleramt in Bonn. Besonders seine Rolle als maßgeblicher Berater und enger Vertrauter Helmut Kohls zur Zeit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung prägten das politische Leben Teltschiks. Im Gespräch mit Prof. Pietraß berichtete er von vielen außenpolitischen Terminen, die er sorgfältig vorbereitete und begleitete. Seine Devise hierbei war immer, sich mit der Geschichte und Kultur des jeweils anderen Landes zu beschäftigen. Denn nur so könne Verständnis füreinander und Vertrauen zueinander aufgebaut werden. Mit diesem Grundsatz lassen sich internationale Beziehungen gut und freundschaftlich leben, so Teltschik.
Eine besondere Rolle in der deutschen sowie internationalen Geschichte kommt Teltschik als Beteiligter an der Wiedervereinigung 1989/90 zu. Mit Helmut Kohl war er an den deutsch-deutschen Verhandlungen der Wendezeit beteiligt. Er und Kohl besuchten 1990 den damaligen sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow in Moskau, in Folge dieses Besuchs war der Weg für die Wiedervereinigung frei. Sein Erfolgsrezept, so fasste es Prof. Pietraß zusammen, sei immer eine Kombination aus Diplomatie und Fachlichkeit gewesen. Teltschik betonte für den anwesenden Führungsnachwuchs, dass es immer gut sei, Anregungen und Wissen von außen zu bekommen. Niemand könne alles wissen und um gute Entscheidungen zu treffen, sei es unumgänglich auch „die andere Seite“ zu kennen.
Für Teltschik ist die friedliche Wende in Deutschland „bis heute ein Wunder“, sagt er, wenn er bedenke was alles auf dem Spiel stand. Dass in der Nacht vom 9. November 1989 und danach kein einziger Schuss eines Grenzsoldaten gefallen sei, sei ein großes Glück gewesen. Nichtsdestotrotz ist in seinen Erzählungen zu spüren, dass er an die Möglichkeit der Wiedervereinigung geglaubt hat und alles dafür tat sie umzusetzen, getreu seinem Motto „Never give up“ oder der Devise des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“
Prof. Pietraß und Prof. Teltschik im Gespräch im Audimax. (© UniBw M/Siebold)
Nach der Politik in die Wirtschaft
1990 ließ Teltschik die Politik auf eigenen Wunsch hinter sich, er hatte insgesamt 19 Jahre für und mit Helmut Kohl gearbeitet. Er wechselte in die Wirtschaft und war zunächst Geschäftsführer der Bertelsmann Stiftung, dann Vorstandsmitglied bei BMW und schließlich Präsident von Boeing Deutschland und Vizepräsident Boeing International.
Doch seine besondere außenpolitische Erfahrung ließen ihn noch eine weitere wichtige Funktion übernehmen. Von 1999 bis 2008 war er der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, die auch die Universität der Bundeswehr München seit vielen Jahren bei der Durchführung unterstützt und auch mit sicherheitspolitischen Vorträgen zum Rahmenprogramm beiträgt. Die Münchner Sicherheitskonferenz prägte er mit ebenso klaren Wertevorstellungen wie zuvor seine politische Tätigkeit. Teltschik ist sich sicher „die Konflikte müssen auf den Tisch.“, denn nur, wenn darüber gesprochen werde, können Konflikte auf der Welt gelöst werden.
Das biografische Gespräch mit Horst Teltschik stand an der Universität im Zeichen der „Inneren Führung“. Sie ist der Kern der Führungskultur der Bundeswehr und neben der fachlichen und akademischen Ausbildung der studierenden Soldatinnen und Soldaten die wichtigste Kompetenz für die angehenden Offiziere. Von Gästen wie Teltschik können die Studierenden lernen, in Momenten, für die es kein Patentrezept gibt, trotzdem handlungsfähig zu bleiben. Es geht darum, „dass die Studierenden an konkreten biografischen Situationen lernen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen", sagte Prof. Pietraß. Sie resultierte am Ende des Gespräches, Horst Teltschik verfüge über eine Art „inneres Geländer“, das ihn stets leitete. Jeder müsse sein eigenes finden, das heißt eine eigene Persönlichkeit ausbilden, um gut führen zu können.
Titelbild (v.l.n.r.): Präsidentin Prof. Merith Niehuss, Prof. Horst Teltschik und Prof. Manuela Pietraß vor ihrem Gespräch an der Universität der Bundeswehr München. (© UniBw M/Siebold)