Einkaufen: Nachfragesteuerung im Online-Lebensmittelhandel

18 November 2020

Die Dinge des täglichen Bedarfs online zu kaufen und liefern zu lassen ist praktisch für die Kunden. Aber wie können aus Sicht des Anbieters die Auslieferungen im Online-Lebensmittelhandel optimal und rentabel über den Tag verteilt werden?

Der Lebensmitteleinkauf gehört zu den am häufigsten wiederkehrenden Haushaltstätigkeiten. Ob man allein lebt oder mit mehreren Familienmitgliedern, der Einkauf muss regelmäßig erledigt werden. Gerade seit in diesem Jahr die Ansteckung mit dem Coronavirus zur Gefahr wurde, beschränkten viele Menschen ihr Einkaufsverhalten auf maximal einen größeren Einkauf pro Woche. Den Wocheneinkauf gänzlich auszulagern und dennoch immer alles, was man benötigt, zu Hause zu haben, erscheint nicht nur in diesen Zeiten sehr verlockend. Auch ohne eine weltweite Pandemie, war es eine zeitintensive Tätigkeit, die in den Alltag mit Job, Kindern und Freizeitbeschäftigungen integriert werden musste. Da ist das Angebot mancher Lebensmittelhändler und Supermarktketten, den Einkauf online zu tätigen und ihn sich liefern zu lassen, gern gesehen.

Prof. Claudius Steinhardt, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Business Analytics und Management Science an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, forscht bereits seit mehreren Jahren zur Nachfragesteuerung im Online-Lebensmittelhandel, der gerade einen Boom erfährt. Er gibt an, dass der Marktanteil des Online-Handels bei Lebensmitteln vor der Coronakrise in Deutschland nur etwa 1,5 Prozent ausmachte, was im Vergleich mit anderen europäischen Ländern recht gering war. In den letzten Monaten verdoppelte sich der Anteil hier auf bis zu 3 Prozent. In anderen Ländern wie Frankreich oder England, wuchs der Markt nicht ganz so stark, aber immerhin noch ungefähr um die Hälfte des vorherigen Anteils. Die Aufforderung, zu Hause zu bleiben und die Kontakte mit anderen Menschen zu reduzieren, führte also überall dazu, dass das Angebot der Lebensmittel-Lieferung verstärkt genutzt wurde.

Online-Lebensmittelhandel kann ein wirtschaftliches Risiko für Anbieter sein

Für die Anbieter ist der Lieferservice aber bei weitem nicht immer rentabel, erklärt Prof. Steinhardt. Im Lebensmittelhandel herrscht von jeher hoher Konkurrenzdruck und die Gewinnmargen sind gering. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es für die Anbieter unerlässlich ihre Lieferrouten so effizient wie möglich im Hinblick auf den zu erwartenden Gewinn zu planen. Die Logistik, die hinter dem Bestellprozess steht, verursacht enorme Kosten. Die Waren müssen zusammengestellt und gepackt werden, die Lieferung muss verladen und von Angestellten oder Subunternehmern per Fahrzeug ausgeliefert werden. Die Planung einer Lieferstrecke kann sich sehr schnell verändern, je nachdem ob noch Bestellungen in anderen Wohngebieten hinzukommen oder nicht.

Die Forschung von Prof. Steinhardt beschäftigt sich mit Wegen, den Prozess für die Anbieter profitabel zu machen. Denn nur wenn der Geschäftszweig für das Unternehmen rentabel ist, kann das Angebot gehalten und auch ausgebaut werden. Immer mehr Bestellungen in einem nicht optimierten Bestell- und Lieferprozess könnten schnell zu hohen Verlusten und damit zur Einstellung des Angebots führen, obwohl die Nachfrage da wäre. Die Forschung kann hier zu Lösungen beitragen: Prof. Steinhardt beschäftigt sich mit der Frage, wie die Nachfrage der Kunden gesteuert werden kann, sodass die Kosten bei der Auslieferung kalkulierbar bleiben und erhöhte Kosten aufgrund kurzfristig notwendiger, unvorteilhafter Änderungen der Auslieferungsplanung gar nicht erst entstehen.

Welche Anreize können für die Kundinnen und Kunden geschaffen werden, um möglichst gut über den Tag verteilt zu bestellen und beliefert zu werden?

In der Forschung geht es um eine Anreizsteuerung der Kunden, für die Prof. Steinhardt zunächst das Kundenauswahlverhalten zwischen verschiedenen Lieferoptionen auf Grundlage historischer Daten nachbildet. Auf dieser Basis kann für die Unternehmen berechnet werden, wie sie ihre Lieferprozesse am sinnvollsten gestalten. Dabei sind die entscheidenden Mittel, das Verhalten der Kundschaft zu steuern, die Differenzierungen über den angebotenen Lieferzeitraum (dynamisches oder statisches Slotting) oder über den Lieferpreis (dynamisches oder statisches Pricing).

Beim Slotting entscheidet sich der Anbieter dafür, bestimmte Zeitfenster (Slots) zur Auslieferung gar nicht erst anzubieten. Hauptsächlich wird sich diese Entscheidung nach dem Postleitzahlengebiet, bzw. der Adresse der zu Beliefernden richten. Beim statischen Slotting geht es um die grundsätzliche Überlegung, zu bestimmten Tageszeiten, bestimmte Slots nicht anzubieten und dies immer gleich. Beim dynamischen Slotting entscheidet sich etwa abhängig von den bereits eingegangenen Bestellungen sowie von Anzahl und Ort der noch prognostizierten, weiteren Bestellungen, für welche Gebiete welche Slots zur Verfügung stehen.

Die andere Methode zur Nachfragesteuerung erfolgt über den Preis, der vom Kunden für die Lieferung gezahlt werden muss. Die Wege des dynamischen Pricing sind auch Schwerpunkt der langjährigen Forschung von Prof. Steinhardt. Hierbei wird der Lieferpreis angepasst und steigt beispielsweise tendenziell, wenn sich abzeichnet, dass eine hohe Auslastung eines bestimmten Lieferzeitfensters zu Engpässen führen könnte. Gleichzeitig wird über eine ausgeklügelte Prognose sichergestellt, dass nicht der erste Kunde, der aus einem Gebiet eine Bestellung für ein bestimmtes Zeitfenster aufgibt, die gesamten Anfahrtskosten tragen muss.

Über die Preissteuerung können Kundinnen und Kunden in weniger gebuchte Zeitfenster gesteuert werden, wenn sie flexibel sind und einen günstigeren Lieferpreis bevorzugen. Ähnliche Steuerungen kennt man bereits seit Jahren bei der Preisgestaltung von Flug- oder Bahntickets, auch Autovermietungen begannen vor nicht allzu langer Zeit damit, ihre Preise dynamisch anzupassen. Auf diesem Wege ist es für die Anbieter möglich, eine große Vielzahl von Optionen für verschieden zahlungskräftige Kunden mit unterschiedlichen Bedürfnissen zur Verfügung zu stellen, ohne dabei Einbußen in Kauf nehmen zu müssen.

Welche Lieferfenster gerade angeboten werden sollen und zu welchen Preisen, berechnet Prof. Steinhardt für die Praxis anhand seiner Modelle. Was die Forschung schwer macht, ist, dass in Echtzeit gerechnet werden muss und sich die Planung ständig verändert: Wenn ein weiterer Kunde hinzukommt, muss die geplante Lieferroute des Anbieters angepasst werden. Dies kann zu Verschiebungen der Kosten für die Auslieferung führen und spiegelt sich im Preis, den der Kunde zahlt, wider, hat aber auch Auswirkungen auf das Angebot an nachfolgende Kunden. Der Gesamterfolg eines solchen hochdynamischen Steuerungsprozesses kann vor der Umsetzung in der Praxis durch möglichst realitätsnahe Simulationen abgeschätzt werden.

Obwohl man annehmen könnte, dass der Online-Handel bereits seit Jahren etabliert ist und sicher gut läuft, ist dem nicht in allen Bereichen so. Darum freut es den Wissenschaftler Prof. Steinhardt besonders, dass der Handel zurzeit einen Boom erlebt. Seine Forschung wird sicher weiter dazu beitragen, dass der Markt im Online-Lebensmittelhandel profitabler wird und somit auch eine größere Vielfalt an Anbietern auf dem Markt bestehen bleibt. Für die Zukunft sieht er noch viele weitere Forschungsfelder, deren Anwendungen sich bereits etablieren oder abzeichnen, wie die Auslieferung am gleichen Tag (Same-Day-Delivery) und die Auslieferung mit Drohnen oder Robotern.


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Titelbild: © iStockphoto / iLexx