RISK Jahreskolloquium: Mit der Krise leben – (wie) geht das?
29 Oktober 2021
Besonders die erschreckenden Bilder aus den Hochwassergebieten im Sommer 2021 in Deutschland machten eine der aktuell drängendsten Krisen sehr deutlich – die Klimakrise. Doch nicht nur mit dieser sind wir derzeit beschäftigt, auch die weltweite Pandemie ist noch nicht überstanden. Wie die Menschen mit solchen Ereignissen umgehen können beschäftigt auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: „Die nächste Krise kommt bestimmt – und dann?“ Unter dieser Fragestellung veranstaltete das Forschungszentrum RISK (Risiko, Infrastruktur, Sicherheit und Konflikt) der Universität der Bundeswehr München am 26. Oktober sein Jahreskolloquium im digitalen Format zu dem sich über 70 Teilnehmende zugeschaltet hatten. Gäste aus Wissenschaft und Politik diskutierten darüber, welche Lehren aus Krisen gezogen werden sollten, um die Gesellschaft für zukünftige Herausforderungen besser zu wappnen.
Die Welt befindet sich im Krisenmodus, dieses Gefühl kann man tagtäglich beim Blick auf die Schlagzeilen in den Medien bekommen. In diesen Tagen verabschiedet sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach 16 Jahren aus dem Amt, oft wurde sie bereits als „Krisenkanzlerin“ bezeichnet. Allein in ihrer Regierungszeit gab es globale Krisen wie die Finanz- und Eurokrise, die humanitäre Krise im Nahen Osten rund um Syrien und die damit zusammenhängende sogenannte Flüchtlingskrise. Die Klimakrise überschattet nahezu alles, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bereits seit langem angekündigt, werden die Auswirkungen in den letzten Jahren immer deutlicher und häufiger spürbar, auch hier ist die Politik gefragt. Dazu kommt nun seit anderthalb Jahren noch eine globale Gesundheitskrise, die Covid-19-Pandemie. Dies sind nur einige Beispiele einer Liste, die noch deutlich länger sein könnte, so Prof. Timothy Williams, der Sprecher des FZ RISK und Juniorprofessor für Unsicherheitsforschung und gesellschaftliche Ordnungsbildung, zu Beginn seiner Moderation. Die Aufzählung zeigt, es entstehen immer neue Krisen. In Krisensituationen wenden sich die Menschen an die Politik und erwarten Lösungen. Doch ist es nicht ratsam, auch nach der Krise noch tiefer auf das zugrundeliegende Problem zu schauen? Das Jahreskolloquium des FZ RISK nahm sich in diesem Jahr eines Themas an, dass sich beim Blick auf die Welt geradezu aufdrängt. Es ging in den Beiträgen der Forschenden doch nicht nur um Krisen, sondern vor allem auch um den Umgang mit ihnen. Was können die Menschen und die Politikerinnen und Politiker aus Krisen lernen?
Universitätspräsidentin Prof. Merith Niehuss freute sich, das Jahreskolloquium eröffnen zu dürfen. Sie betonte, dass das FZ RISK das erste große Forschungszentrum der Universität der Bundeswehr München gewesen sei, das alle Voraussetzungen wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit erfüllt habe. Zu Beginn seien zwar noch mehr Mitglieder aus dem Bereich des Bauingenieurwesens gekommen, doch mittlerweile sind auch viele aus den Sozialwissenschaften beteiligt. Dies zeigte sich auch in der Verteilung der Fachbeiträge an diesem Nachmittag. Im ersten Teil des Jahreskolloquiums kamen drei Forschende aus den Politik- und Sozialwissenschaften zu Wort und erläuterten wie sich Krisen gegenseitig bedingen können. Darauf folgten im zweiten Panel drei eher technische Sichtweisen und mögliche Lösungen für Herausforderungen beispielsweise im Baugewerbe. Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine von Prof. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing, moderierte Podiumsdiskussion mit Teilnehmenden aus Wissenschaft und Politik. (Die Besetzung des Podiums können Sie hier nachlesen >)
Der politische Umgang mit der Krise
Den Einstig lieferte der Risikoforscher Prof. Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor des IASS Potsdam (Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung). Er sprach über Systemische Risiken für Krisen und erläuterte seine Forschung zu Kriegsereignissen. Demnach seien die Risiken mit denen wir es zu tun haben, nicht linear, sondern durch „Kipppunkte“ gekennzeichnet. Dies habe man zuletzt an der Corona-Pandemie gesehen, wo sich das Risiko der Ansteckung durch exponentielles Wachstum erhöht habe. Die Kipppunkte seien in diesem Fall die begrenzte Anzahl von Beatmungsgeräten oder schlicht Krankenhausplätzen gewesen, die innerhalb kürzester Zeit die Krise haben zuschlagen lassen. Die „systemischen Risiken sind selten konsensfähig“, so Prof. Renn. Das heißt, sie sind Teil der politischen Diskussion. Sie führen sehr häufig zu Polarisierung und können somit eine Debatte anstoßen oder aber zur Paralyse führen. An der Pandemie könne man gut sehen, dass die politischen Entscheidungen nicht darauf ausgelegt seien, Interessen gegeneinander abzuwägen. Zu Beginn war alles auf das Thema Gesundheitsschutz ausgelegt, doch später mussten etwa Maßnahmen auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Systemische Risiken seien laut Prof. Renn schwer zu kommunizieren, seine Empfehlungen sind daher die Kipppunkte besser in Narrative eingebunden werden um sie der Bevölkerung näher zu bringen. Außerdem sollten Risiken auch als Chancen gesehen werden, wofür sich insbesondere die Klimakrise eignen würde, die dazu führen könnte, dass ein angenehmeres Leben für alle möglich sei, wenn bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Mehr Bürgerbeteiligung könne auch helfen um komplexe Risiken näher in die Bevölkerung zu bringen.
Prof. Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der UniBw M und Vorstandsmitglied des FZ RISK, widmete sich der Reaktion der Politik auf krisenhafte Ereignisse. Sie stellte ihr Forschungsprojekt vor, das Gesetzgebungsprozesse der Bundesregierung von 1990 bis 2013 bezüglich der Schnelligkeit untersucht. Zusätzlich hat sie auch die Gesetzgebungen aus der Zeit zur Corona-Pandemie ausgewertet. Besonders, aber nicht nur, in Krisenzeiten werden schnelle Gesetzesänderungen oder Beschlüsse zu neuen Gesetzen als effektiv angesehen, auf der anderen Seite werden schnellen Gesetzgebungsinteressen Misstrauen entgegengebracht. Entgegen der Annahme, dass Gesetze im Allgemeinen immer schneller verabschiedet werden, konnte sie nur eine geringe Steigerung feststellen. Allerdings waren fast alle Gesetzgebungsprozesse der letzten Jahre, die sehr schnell abliefen, aufgrund von Krisen oder außerordentlichen Ereignissen initiiert worden. Damit Gesetzgebungsprozesse derart schnell sein können, benötigt man ihrer Einschätzung nach überparteilichen Konsens zum Thema als auch Konsens zwischen Bundestag und Bundesrat.
Der nächste Redner in diesem Panel war Dr. Tobias Ide, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Politikwissenschaft an der Murdoch Universität Perth, er forscht zum Zusammenhang von Klimawandel und gewaltsamen Konflikten. Er sprach über seine langjährige Forschung dazu, ob Katastrophen das Risiko gewaltsamer Auseinandersetzung erhöhen. Seien Analysen bestimmter bewaffneter Konflikte bspw. In Nigeria ergeben, dass Katastrophen nicht nur ein Katalysator für Konfliktrisiken sein können, sondern auch ein Katalysator für Deeskalation.
Die Mitglieder des FZ RISK (v.l.n.r.) Prof. Jasmin Riedl, Prof. Karl-Christian Thienel, Prof. Norbert Gebbeken, Prof. Timothy Williams und Prof. Michael Eßig sowie Präsidentin Prof. Merith Niehuss (3.v.r.) © Universität der Bundeswehr München/Siebold
Technische Zugänge zur Krise
Hon. Prof. Anna Heringer, eine preisgekrönte Architektin, berichtete über ihre praktische Arbeit zum Thema Lehmbau. Sie sagt selbst, sie sehe Architektur als Möglichkeit das Leben zu verbessern, allerdings sei auch häufig das Gegenteil der Fall indem Lebensbedingungen zerstört werden. Dabei verknüpft sie Fragen des Bauens mit Entwicklungsarbeit. Bei einem Projekt in Bangladesch konnte sie mit natürlichen Materialien wie Lehm und Bambus, die in Hülle und Fülle zur Verfügung standen eine Schule bauen. Dabei war es ihr wichtig auch die späteren Nutzerinnen und Nutzer, also die Kinder in den Bauprozess einzubinden. Außerdem konnte sie vor Ort beobachten, dass das Bauprojekt auch bei den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern zu einem Katalysator für lokale Wirtschaft wurde, denn der Tageslohn wurde oft direkt bei Marktständen vor Ort umgesetzt. Dieses Projekt ist beispielhaft für Heringers Arbeit, seither setzt sie sich für das Bauen mit natürlichen Materialien ein. Sie plädiert für die Nutzung von lokalen Materialien und globalem Wissen. Auch in Deutschland sieht sie Möglichkeiten für eine moderne Baukultur mit lokalen Baustoffen wie Holz und Lehm. So könnten wichtige Beiträge für den Klimaschutz, die Gesundheit und die lokale Wirtschaft geleistet werden. Sie kritisiert, dass es in Deutschland teurer sei, nachhaltig zu bauen als konventionell.
Auch Prof. Karl-Christian Thienel, Professur für Werkstoffe des Bauwesens an der UniBw M, beschäftigt sich in seiner Forschung mit den Möglichkeiten des nachhaltigen Bauens. Als Experte für Beton forscht er hier an neuen Möglichkeiten der Zusammensetzung um das Material umweltfreundlicher zu machen. Als Schwierigkeit bei der Nutzung von Lehm in Deutschland merkte er an, dass dieser wetterunbeständiger sei und daher nicht immer eingesetzt werden könne. In seinem Vortrag beim RISK Jahreskolloquium sprach er über die CO2-Bilanz verschiedener Baustoffe und warf die Frage auf, ob ein natürliches Material wie Holz die Lösung für nachhaltiges Bauen sein könne. Im Allgemeinen scheint dieser Eindruck zu bestehen, was auch an der Knappheit von Bauholz in den letzten Monaten spürbar sei. Das Bauen mit Holz könne einen kleinen aber merklichen Einfluss auf die CO2-Bilanz haben, allerdings meint Thienel auch der Einfluss des Klimawandels auf die Wälder und damit das Vorkommen der Ressource Holz müsse berücksichtigt werden. Außerdem könne Holz Beton und Zement nur partiell ersetzen, insbesondere im Bereich der Infrastruktur. Er fordert ein ganzheitlicheres Denken in der Baubranche.
Prof. Michael Eßig, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Beschaffung und Supply Management an der UniBw M und sein Mitarbeiter Dr. Andreas Glas lieferten einen wirtschaftswissenschaftlichen Beitrag zum Panel, bei dem sie globale Wertschöpfungsketten und ihre Vulnerabilität analysierten. Selbst für vermeintlich einfache Produkte wie einen Erdbeerjoghurt aus dem Supermarkt, liegen heutzutage globale Wertschöpfungsketten zugrunde. Das Produkt selbst mag zwar regional sein, doch allein die Verpackung besteht aus Komponenten wie Glas, Aluminium und Holz (für das Papier der Verpackung) aus der ganzen Welt. In ihrer Forschung untersuchen sie verschiedene Möglichkeiten, wie Lieferketten durch Digitalisierungsprozesse sicherer gemacht werden können. Ein besonderes Beispiel ist hierbei additive Fertigung in Lieferketten, die Fertigung von Bauteilen durch 3D-Druck. Bei einer empirischen Untersuchung wurden Risiken in der Lieferkette untersucht. Eine Kombination aus herkömmlicher Lieferung und der Fertigung dringend benötigter Teile durch 3D-Druck stellten dabei die bestmögliche Variante dar. Sie plädieren gerade im Hinblick auf globale Krisen für eine neue Denkschule beim Einsatz von Technologien.
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Titelbild: © gettyimages / Marc Bruxelles