Digitalisierte Arbeitswelt: So funktioniert Mitbestimmung
26 Januar 2021
Wie verändert sich die Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Personalmanagement durch die Digitalisierung in Unternehmen? Ein Forschungsprojekt von Dr. Verena Bader.
In Deutschland hat die Zusammenarbeit von Betriebsräten mit Arbeitgebern eine lange Tradition. Als Vermittler zwischen der Belegschaft eines Unternehmens und der Führungsetage leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Verständigung. Seit 1972 regelt das Betriebsverfassungsgesetz in einer Neufassung des ursprünglichen Gesetzes von 1952 die umfangreichen Informations-, Konsultations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sowie die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Insbesondere bei der Einführung von neuen Technologien hat ein Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, er muss einer Einführung also ausdrücklich im Vorhinein zustimmen.
Im von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Mitbestimmung 4.0: Mit Widersprüchlichkeiten aktiv umgehen“ untersuchte Dr. Verena Bader von der Universität der Bundeswehr München, wie sich die Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Personalmanagement durch typische Spannungsfelder der Digitalisierung verändert. Zusammen mit Prof. Stephan Kaiser, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalmanagement und Organisation, veröffentlichte sie Ende 2020 bei Springer Gabler den Herausgeberband „Arbeit in der Data Society – Zukunftsvisionen für Mitbestimmung und Personalmanagement“, der ihre Forschung dazu enthält.
Mit Widersprüchlichkeiten umgehen
Digitalisierung ist nicht nur ein technologischer Prozess, sondern auch ein gesellschaftlicher. Digitalisierung hat schon längst in vielfältiger Weise Auswirkungen auf unser alltägliches Leben. Auch unser Arbeitsleben ist da selbstverständlich nicht ausgenommen. Um Arbeitsprozesse in Unternehmen einfacher, schneller oder auch ortsunabhängiger zu gestalten, gibt es eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten (sog. Tools), die ein Unternehmen einführen kann. Betriebsräte müssen hierbei in die Entscheidung einbezogen werden, wenn eine technische Lösung zur Verhaltens- und Leistungskontrolle eingeführt werden soll. Bei neuen Technologien ist es jedoch oft nicht möglich, bereits am Anfang abzuschätzen, welche Möglichkeiten noch daraus entstehen. Für Betriebsräte als Verhandlungspartner entstehen hieraus Widersprüchlichkeiten, mit denen sie umgehen müssen. Denn für einen Teil der Beschäftigten bedeutet eine technische Lösung vielleicht mehr Autonomie in der Arbeit, für andere aber führt sie zu einer Verschiebung in der Work-Life-Balance und zu mehr Stress. Wie können Betriebsräte nun also entscheiden, was „gute“ Bedingungen für die Beschäftigten sind?
Wie geht der Diskurs zwischen den Sozialpartnern von statten?
In ihrer Forschungsarbeit untersuchte Dr. Bader empirisch, wie diese paradoxen Probleme der Digitalisierung sich auf die Arbeitswelt und die betriebliche Mitbestimmung auswirken und wie der Diskurs zwischen den Sozialpartnern abläuft.
Anhand von Interviews mit über vierzig Personen aus Personalmanagement, Betriebsratsgremien und Gewerkschaften in sieben deutschen Unternehmen, die sich in Digitalisierungsprozessen befanden, ermittelte sie zwei grundsätzlich verschiedene Arten des Umgangs mit den Widersprüchlichkeiten bei den Befragten. Bei einem Teil fanden die Verhandlungen in einem generell eher kämpferischen Modus statt. Die Betriebsräte waren eher gegen die Einführung der geplanten Tools, da sie unsicher waren, welchen Nutzen sie haben könnten. Teilweise fand bei diesen Unternehmen aber eine Duldung der Einführung von Seiten des Betriebsrates statt. In diesen Fällen kann Mitbestimmung in ihrer traditionellen Form stagnieren oder sogar von Digitalisierungsanspruch und -praxis in den Unternehmen überholt werden.
Der andere Teil der Interviewten berichtete über sozialpartnerschaftliche Diskussionen im Unternehmen als produktive Gespräche. Hier wurden verschiedene Sichtweisen anerkannt und diskutiert, statt sich dagegen zu verwehren. Die Mitbestimmung hat sich in diesen Unternehmen merklich verändert, die Verhandelnden bewegten sich weg von ihren traditionellen Rollen („Betriebsrat gegen Arbeitgeber“) hin zu einer beteiligungsorientierten Mitbestimmung. Diese beteiligungsorientierte Mitbestimmung fördert neben der Beteiligung von Betriebsrat und Arbeitgeber auch die direkte Partizipation von Beschäftigten selbst bei Gestaltung ihrer Arbeitsbedingen.
Einsatz einer Sowohl-als-Auch-Strategie
Diese Entwicklung könnte als „Mitbestimmung 4.0“ zusammengefasst werden, die die zukünftige Zusammenarbeit von Betriebsräten und Arbeitgebern zeigt. Die Empfehlung aus Dr. Baders Forschungsprojekt für Unternehmen lautet zu einer Sowohl-als-Auch-Strategie zu greifen, da man sich nicht auf die eine oder andere Seite der Digitalisierungsbefürworter oder -gegner stellen sollte. Probleme müssen in Betrieben stärker diskutiert werden.
Gerade die vergangenen Monate mit der Covid-19-Pandemie haben gezeigt, dass Arbeitsabläufe in vielen Bereichen, u.a. auch der Betriebsratsarbeit, sehr starr und auf Präsenz ausgerichtet sind. Zu Beginn der Pandemie konnten Betriebsräte keine gültigen Regelungen für ihre Beschäftigten treffen, da sie selbst im Homeoffice nicht zu Beschlüssen abstimmen konnten. Dies zeigte deutlich, dass es Aufholbedarf bei der Digitalisierung in Unternehmen gibt und dass wohl auch gesetzliche Regelungen angepasst werden sollten.
Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt von Dr. Bader sowie viele weitere Beiträge aus dem Forschungsbereich Personalmanagement und aus der Praxis der Sozialpartnerschaft sind im Herausgeberband veröffentlicht. Die Publikation soll dazu beitragen, die Erkenntnisse der Forschung zurück in die Praxis zu spiegeln und Unternehmen bei ihren Digitalisierungsprozessen zu helfen.
- Den Herausgeberband „Arbeit in der Data Society – Zukunftsvisionen für Mitbestimmung und Personalmanagement“ von Dr. Bader und Prof. Kaiser (Hrsg.) finden Sie hier >>
- Mehr über das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt „Mitbestimmung 4.0: Mit Widersprüchlichkeiten aktiv umgehen“ mit der Nr. 2017-441-2 finden Sie hier >>
Titelbild: iStockphoto / oatawa