Stress und Einsamkeit in Zeiten von Corona: Wie Berührung helfen kann
13 Mai 2020
Eine aktuelle Studie der Universität der Bundeswehr München in Zusammenarbeit mit der LMU München und der Liverpool John Moores University untersucht die Auswirkungen der Selbstisolation auf das mentale, psychologische und emotionale Wohlbefinden.
Ein Beitrag von Prof. Merle Fairhurst, Professorin für Biologische Psychologie an der Fakultät für Humanwissenschaften
Die meisten von uns werden in den vergangenen Wochen den Corona-Coaster-Effekt erlebt haben: Mal sind wir erfüllt von Gefühlen des Friedens und der Ruhe, mal überkommen uns Gefühle intensiver Einsamkeit und Traurigkeit. Eine aktuelle Studie der Universität der Bundeswehr München in Zusammenarbeit mit der LMU München und der Liverpool John Moores University, versucht die Auswirkungen der Selbstisolation auf das mentale, psychologische und emotionale Wohlbefinden zu messen und diese Teilbereiche genauer zu untersuchen. Die darin enthaltende Online-Studie stellt dabei eine spezifische Frage: Welche Auswirkungen haben die implementierte physische Distanzierung und die damit verbundenen Veränderungen darauf, von wem und wie oft wir berührt werden?
Hier beziehen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf eine besondere Art von Berührung: nicht auf diejenige, die über die Form oder Textur eines Objekts informiert, sondern die, welche uns mittels eines speziellen Rezeptors in der Haut über andere Menschen Auskunft gibt und uns mit ihnen verbindet. Dieses sogenannte affektive Berührungssystem hat sich entwickelt, um die Belohnung für engen physischen Kontakt zu bieten: Wenn wir umarmt werden, löst es eine chemische Reaktion aus, die die sozialen Interaktionen erhöht, Stress reduziert und sogar die Schmerzempfindlichkeit modulieren kann.
Die Kraft der Berührung
Eine Hauptfunktion dieser besonderen Form der Berührung ist die Regulierung, entweder durch andere (denken Sie etwa an einen Elternteil, der ein Kind streichelt, um es zu beruhigen) oder durch uns selbst (stellen Sie sich vor, wie wir uns eincremen oder unsere Schläfen reiben, wenn wir uns gestresst fühlen). Die Berührung hat die Kraft uns zu entspannen und uns in einen Normalzustand (“back to baseline”) zurückzuführen. Dies ist besonders wichtig in Fällen von hohem Stress, wie etwa in der aktuellen Situation, geprägt von finanzieller Unsicherheit, gesundheitlichen Ängsten oder der Sorge um unsere Angehörigen. Als solches würde man annehmen, dass eine Änderung des Berührungsverhaltens einen signifikanten Einfluss auf das Wohlbefinden haben sollte.
Genauso wie viele, die sich jetzt isoliert fühlen, vereinigten auch die Wissenschaftler ihre Kräfte im virtuellen Raum und haben sich gemeinsam bemüht zu untersuchen, was passiert, wenn sich das Berührungsverhalten ändert. Einige Menschen werden mehr als zuvor berührt, vielleicht, weil sie mit Familienmitgliedern im Kontakt stehen. Andere, die alleine sind, haben wohl weit weniger Berührungserfahrungen. Vorläufige Daten zeigen, dass diejenigen, die sich selbst isolieren, sich einsamer fühlen als diejenigen, die mit anderen zusammenleben. Dies mag offensichtlich erscheinen, doch wichtig ist, dass die Daten besonders den direkten Zusammenhang vom Effekt der Einsamkeit mit der Sehnsucht nach vertrauter Berührung zeigen. Wir fühlen uns einsam, weil wir die Menschen, die wir lieben, nicht erreichen und berühren können. Eine interessante Frage könnte sein, ob dies durch die Tatsache verstärkt wird, dass wir nicht wissen, wann wir sie wieder berühren werden.
Der Wunsch nach Berührung ist stark kontextabhängig
Die Ergebnisse von 500 englischsprachigen Teilnehmern zeigen: Personen, die mehr Berührungen von Fremden erfahren, berichten, dass sie trauriger sind. Möglicherweise deutet das auf eine erhöhte Abneigung gegen unbekannte Personen hin, wahrscheinlich auch im Zusammenhang mit der Berührungsangst. Dies betont, dass der Wunsch nach Berührung, wie alle biologischen Bedürfnisse, von Person zu Person variieren kann und stark kontextabhängig ist. Genauso wie etwa nicht jeder die gleiche Menge oder Art von Essen mag und braucht.
Verändertes Essverhalten in der Krise – ein Weg zur Selbstberuhigung
Wie andere biologische Bedürfnisse auch, treibt affektive Berührung das Verhalten an und wird durch Belohnung verstärkt. Wir bemühen uns, jemanden zu berühren und genießen es, berührt zu werden, weil wir uns dadurch gut fühlen. In der Studie haben die Forscher daher untersucht, wie Menschen die lohnenden Gefühle, die mit einer angenehmen Berührung verbunden sind, kompensieren. So steht laut der Studiendaten ein verändertes Essverhalten in direktem Zusammenhang mit dem Gefühl der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Berührung, als ein weiterer Weg zur Selbstberuhigung, Selbstregulierung und Belohnung. Wenn wir einsam sind und starken Mangel an Berührung spüren, wenden wir uns dem Essen zu, um uns wohl zu fühlen. Andere in der Studie untersuchte Beschäftigungen, die als kompensatorische Belohnungsverhalten funktionieren, sind Musik zu hören oder zu machen, Sport zu treiben und Filme zu schauen.
Mehr über dieses Thema erfahren Sie im aktuellen Interview im Münchner Merkur.
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Titelbild: iStockphoto / juanmonino