Resilienz in Zeiten von Corona: ein Beitrag mit Empfehlungen

9 April 2020

In der aktuellen Situation ist Resilienz, d.h. psychische Widerstandsfähigkeit, ein wichtiger Schutzfaktor. Es gilt jetzt auch unser psychisches Immunsystem zu stärken.

Ein Beitrag mit Empfehlungen zur Stärkung der eigenen psychischen Widerstandsfähigkeit von Prof. Karl-Heinz Renner, Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik.

Die COVID-19-Pandemie ist nicht nur eine medizinische und ökonomische, sondern auch eine psychologische Krise: Die Angst vor einer eigenen Ansteckung oder der Ansteckung nahestehender Personen, die Angst vor einem Verlust der finanziellen und ökonomischen Existenz, aber auch sozialer Stress infolge des nun intensiveren „Aufeinanderhockens“ in der Familie oder Einsamkeit infolge von Isolation sind Beispiele für die psychologischen Folgen der Pandemie. In der aktuellen Situation ist Resilienz, d.h. psychische Widerstandsfähigkeit, ein wichtiger Schutzfaktor. Es gilt jetzt auch unser psychisches Immunsystem zu stärken.

Entwicklung von Resilienz auf verschiedenen Ebenen

Resilienz ist aber nicht nur ein Merkmal, das Individuen aufbauen können, sondern auch Gruppen, Gemeinschaften, Organisationen, Institutionen, Staaten und ganze Staatengemeinschaften können mehr oder weniger widerstandsfähig sein. Deshalb ist es wichtig, Resilienz auf unterschiedlichen Ebenen zu entwickeln, die sich dann im besten Fall gegenseitig verstärken. Was können wir tun, um unsere psychische Widerstandsfähigkeit angesichts der COVID-19-Krise zu erhalten und zu stärken? Nachfolgend finden Sie verschiedene Hinweise und Empfehlungen, aufgeteilt in sieben Kurzkapitel, die größtenteils zu den bewährten Strategien gegen Stress zählen. Wichtig ist es, diejenigen Strategien auszuwählen und auszuprobieren, die für Sie am besten passen.

Soziales Miteinander

Räumliche, nicht soziale Distanzierung: Der Begriff „soziale Distanzierung“ ist sehr unglücklich gewählt, weil es gerade jetzt darauf ankommt, besonders „sozial“ und füreinander da zu sein. Trotz der Notwendigkeit zur räumlichen Distanzierung gilt es jetzt umso mehr soziale Nähe durch alle verfügbaren technischen Medien (Telefon, Videokonferenzsysteme etc.) oder auch durch einen handgeschriebenen Brief zu schaffen.

Rückzugsmöglichkeiten schaffen, alleine sein dürfen und lassen: Wer aktuell mit mehreren Kindern, mehr Zeit in der möglicherweise zu kleinen Wohnung verbringen muss, sollte Möglichkeiten für Rückzug und Alleine-Sein-Können für jedes Familienmitglied schaffen und organisieren.

Wohlwollen, Güte und Nachsicht: Gehen Sie in Ihrer Familie und mit Ihren Kolleginnen und Kollegen angesichts der aktuellen Lage wohlwollend, gütig und nachsichtig miteinander um; legen Sie beispielsweise nicht jedes Wort oder jeden Satz in einer E-Mail auf die Goldwaage. Und entschuldigen Sie sich, wenn Sie einen Fehler gemacht haben.

Neue tägliche Strukturen und positive Rituale

Für alle, die jetzt im Homeoffice arbeiten müssen oder vollständig freigestellt wurden, ist es wichtig, einen neuen geregelten Tagesablauf auch und gerade mit Kindern zu planen und umzusetzen. Das gibt Sicherheit und Orientierung! Planen Sie auch freie Zeiten ein, in denen Sie und gerade auch Ihre Kinder das machen können, worauf sie gerade Lust haben.

Führen Sie positive Rituale ein: regelmäßige Videotreffen oder Telefonate mit Familie und Freunden; Bewegungspausen im Homeoffice, gemeinsam musizieren oder Musik hören, spielen, Filme und interessante Sendungen anschauen, die nichts mit COVID-19 zu tun haben.

Schreiben Sie auf, was Ihnen durch den Kopf geht und welche Gefühle Sie erleben. Schreiben kann helfen, um die eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen.

Gesundheit, Bewegung, Entspannung

Versuchen Sie gerade jetzt, Ihr Immunsystem zu stärken, indem Sie sich besonders gesund ernähren, ausreichend schlafen und an der frischen Luft bewegen.

Setzen Sie bewusst Aktivitäten ein, bei denen Sie sich entspannen und in eine „regenerative Gegenwelt“ abtauchen können. Das kann z.B. durch Musik hören, selbst Musik machen, kochen, lesen oder die Lieblingsserie schauen gelingen. Sie können aber auch formelle Entspannungstechniken einsetzen oder ganz neu kennenlernen und einüben, z.B. progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeitsübungen, Yoga etc. Seriöse Anleitungen finden Sie z.B. hier: https://www.tk.de/techniker/magazin/life-balance/aktiv-entspannen.

Gutes tun und Positives in der Krise wahrnehmen

Sofern es Ihre finanzielle Situation erlaubt, können Sie den Einzelhandel, Kinos, kleine Unternehmen in Ihrem Umkreis, etc. unterstützen, indem Sie z.B. Gutscheine kaufen.

Bieten Sie anderen Menschen Hilfe an, z.B. beim Einkaufen oder beim Einrichten einer Videokonferenz.

Bedanken Sie sich bei all den „Corona-Helden“ in den Lebensmittelgeschäften, Apotheken, Krankenhäusern, Pakettransportdiensten usw., die bisher selbstverständlich da waren und die jetzt immer noch für Sie da sind.

Nehmen Sie die kleinen positiven Dinge im Alltag, die „daily uplifts“, bewusst wahr.  Halten Sie inne und genießen Sie den Moment, wenn Sie z.B. etwas Schönes in der Natur sehen, einem Menschen begegnen, der Sie anlächelt, etc.

Viele von Ihnen haben jetzt zwangsweise mehr Zeit. Nutzen Sie diese Zeit, um darüber nachzudenken und aufzuschreiben, was für Sie im Leben wirklich wichtig ist und wofür sie dankbar sind.

Beachten Sie Beispiele für einen positiven, solidarischen Umgang mit der Krise in Ihrer unmittelbaren Umgebung und in den Medien.

Bewusster Umgang mit Medien

COVID-19 ist derzeit das beherrschende Thema in allen Medien. Die Einschätzungen zur Bedrohlichkeit und zu den geeigneten Gegenmaßnahmen gehen auch unter den Expertinnen und Experten mehr oder weniger weit auseinander. In einer solch unübersichtlichen Lage ist es sinnvoll, sich über COVID-19 in seriösen Quellen und Medien zu informieren und auch COVID-19 Fake News zu erkennen, siehe z.B. hier: https://www.br.de/nachrichten/wissen/die-gesammelten-fakes-desinformation-zu-corona.

Neben der bewussten Auswahl seriöser Quellen sollten Sie auch nicht rund um die Uhr COVID-19-Nachrichten und Talkshows verfolgen. Es gilt, die richtige Balance zwischen notwendiger Information zu COVID-19 und Distanzierung zu finden und gerade auch Kinder vor zu viel medialer Information zu schützen.

Machen Sie sich Ihre eigenen Ressourcen bewusst

Ressourcen sind Kraftquellen, die Sie mit Energie versorgen und das Leben lebenswert machen. Ressourcen fördern Resilienz. Machen Sie sich bewusst, welche Merkmale Ihrer Persönlichkeit Kraft geben (z.B. Humor, organisatorische, soziale und emotionale Kompetenzen, Sportlichkeit etc.). Welche Menschen geben Ihnen Kraft? Was machen Sie besonders gerne? Worauf sind Sie besonders stolz? Woran glauben Sie? Was bringt Sie in gute Stimmung? Was können Sie besonders gut? Woran erinnern Sie sich besonders gerne?

Umgang mit Gefühlen und Gedanken

Angesichts der COVID-19-Krise ist es vollkommen normal, dass man sich Sorgen macht und negative Gefühle erlebt. Sprechen Sie mit Ihnen vertrauten Personen darüber und nutzen Sie u.U. auch professionelle Hilfsangebote, z.B. telefonische Beratung, die für Notfälle von etlichen Einrichtungen angeboten wird.

Die COVID-19-Pandemie ist auch und gerade deshalb für viele so belastend, weil niemand genau vorhersagen kann, wann die Ausgangsbeschränkungen gelockert oder aufgehoben werden oder ob es noch weitere Einschränkungen geben wird und welche finanziellen und ökonomischen Konsequenzen folgen. Versuchen Sie, diese Unbestimmtheit und die aktuellen Einschränkungen zu akzeptieren („Es ist jetzt so!“) und sich bewusst zu machen, dass Sie dadurch Menschenleben retten. Trotz der Ungewissheit über den genauen Zeitpunkt sollten wir uns sagen: „Auch diese Krise wird vorübergehen!“


Weitere Informationen zur Professur für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik unter: https://www.unibw.de/hum-psychologie/pp


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