Perspektivwechsel beim bundesweiten Aktionstag
5 November 2019
Am 24. Oktober tauschten Mitarbeitende aus bundesweit 144 Organisationen ihren Arbeitsplatz gegen eine Mitarbeit in einer Werkstatt für körperlich eingeschränkte Menschen.
Auch die zivile Gleichstellungsstelle der Universität der Bundeswehr München nahm am Aktionstag teil: Eva Olschewski, Referentin für Gleichstellung und Diversity, erhielt Einblicke in die Arbeit der Stiftung Pfennigparade. Ihren Arbeitsplatz an der Universität lernte Stefanie Steiglechner kennen, die normalerweise in einer Werkstatt der Pfennigparade arbeitet. Frau Olschewski berichtet hier von ihren Erfahrungen:
Als ich die Anfrage im Postfach sehe, klicke ich sofort neugierig darauf: Ob wir uns vorstellen könnten, an einem deutschlandweiten Aktionstag namens „Schichtwechsel“ teilzunehmen. Je mehr ich lese, desto überzeugter werde ich: Da müssen wir mitmachen!
Die Wochen vergehen und ich soll mir überlegen, welchen Bereich ich gerne näher kennenlernen möchte. Die Wahl fällt mir schwer, bietet die Pfennigparade doch so viele Einsatzmöglichkeiten: Die Gärtnerei, die Korbflechterei oder die digitale Kunst – um nur wenige zu nennen. Letztendlich entscheide ich mich für zwei Standorte, damit ich möglichst verschiedene Eindrücke aus der Arbeit in den Werkstätten der Stiftung sammeln kann: Die Bücherkiste und die Keramik.
Es geht nichts über ein gutes Buch
In der Bücherkiste am Olympia-Einkaufszentrum herrscht kreatives Chaos. Alle sind sehr freundlich und immer kommen neue Leute dazu, die mich herzlich begrüßen. Manche sind eher zurückhaltend, manche wollen ihre Geschichte erzählen. Ich habe das Gefühl, hier gibt jede/r auf einander Acht. „Bist du die neue Praktikantin?“, höre ich mehrmals und muss schmunzeln. Es fühlt sich wirklich ein bisschen an wie ein Praktikum – der erste Tag, ich bin die „Neue“ und versuche möglichst viele Informationen aufzusaugen.
Stapeln von Büchern stehen bereit, ich steige direkt mit ein und finde heraus, wieviel die gespendeten Bücher, DVDs und CDs aus zweiter Hand wert sind. Ich staune nicht schlecht, dass ein schon mehrere Jahrzehnte altes Exemplar stärker nachgefragt wird als die neuen Bestseller. Da sie bereits in vielen Regalen stehen, sind neue Bücher oft überlaufen. Im Zeitalter von E-Books und Streaming-Anbietern werden teilweise Bücher oder Filme weggeben, die noch verpackt sind. Ein nicht gewolltes Weihnachtsgeschenk, frage ich mich. In der Bücherkiste können Bücher, aber auch DVDs, CDs und Gesellschafts- oder Computerspiele, im Geschäft für einen kleinen Preis erstanden werden. Das Café Beans and Books, über das ich in der Mittagspause von zwei Mitarbeiterinnen der Pfennigparade noch mehr erfahre, bietet die Bücher ebenfalls an. Zudem kommen viele der dort verwendeten Möbel und das Geschirr aus den Werkstätten. Ab und zu finden hier Lesungen statt. Beide Geschäfte bieten mit gemütlichen Leseecken die Möglichkeit an, in Ruhe in den Büchern zu schmökern.
Arbeitsresultate zum Anfassen
Den Nachmittag verbringe ich in der Keramik am Hauptstandort der Pfennigparade in Milbertshofen. Da im Münchner Norden viele der Werkstätten aneinander angrenzen, ist noch Zeit, einen Blick in die Arbeit der Groupe Smirage zu werfen, die Werke in Acryl, Öl, Aquerell und Tusche herstellt. Ich freue mich über ein Gespräch mit einer Dame, die ihre Hände nur eingeschränkt nutzen, ihre Kreativität dafür aber in der Gruppe Digitale Kunst am PC ausleben kann. Die Kunstwerke werden ausgestellt und zudem auf Taschen oder Tassen aufgedruckt. Besonders angetan haben es mir die Haarklammern mit Oktoberfest-Motiven.
Meinen „Schreibtischjob“ im Büro gewohnt, darf ich mich nun handwerklich betätigen. Sofort erhalte ich Unterstützung der Teambetreuerin, aber auch von den Mitarbeitenden. Ein Mitarbeiter, der an MS leidet, erklärt mir verschiedene Maltechniken, ein anderer informiert mich über verschiedene Tonmisch- und Brennverfahren. Meine Schale nimmt immer mehr an Form an, ich bemale eine „Schichtwechsel“-Erinnerungstasse. Jetzt müssen sie noch gebrannt werden – dadurch treten die Farben viel stärker in Erscheinung. Ich muss zugeben: Ich bin stolz, handfeste Resultate vorweisen zu können.
Die Keramik beliefert zum Beispiel das Café Beans and Books mit Geschirr und nimmt auch Aufträge von außen an. Momentan läuft die Vorbereitung für den Weihnachtsmarkt der Pfennigparade auf Hochtouren. Ich male einem Teelichthalter in Form eines Weihnachtsbaums noch bunte Christbaumkugeln an und bekomme an dem warmen Oktobertag Lust auf Plätzchen und Lebkuchen.
Inspirierender Perspektivwechsel
Den Arbeitsplatztausch habe ich als sehr bereichernd erlebt. Ich habe versucht, mich ohne genaue Vorstellungen unbedarft auf die Aktion einzulassen. Für mich ist definitiv eine Hemmschwelle gefallen. Vorab hatte ich Sorge, dass ich in das ein oder andere Fettnäpfchen trete, aber dadurch, dass alle so offen waren, ist dieser Fall überhaupt nicht eingetreten. Ich habe gelernt, dass man ein Gefühl dafür entwickeln muss, ob jemand seine Geschichte teilen möchte oder nicht und sonst ist es wie mit Menschen ohne Beeinträchtigung auch – man sollte nicht direkt davon ausgehen, dass immer Unterstützung benötigt wird, da der Alltag je nach Grad der Behinderung teilweise sonst auch selbstständig gemeistert wird. Ich finde es bemerkenswert, dass Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in der Pfennigparade so gut zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen.
Herzlichen Dank an alle Beteiligten, die diesen Tag möglich gemacht haben – ich kann nur empfehlen, im nächsten Jahr selbst mitzumachen!
Hier geht es zum Artikel über die Erfahrungen der Schichtwechsel-Tauschpartnerin Frau Steiglechner an der Universität.