Raumkognition

Schwerpunkt.jpg Ein wichtiger Teil der Arbeiten zur menschlichen Navigation fand im Rahmen des DFG Schwerpunktprogramms SPP 1021: „Raumkognition“ statt, in dem 16 Wissenschaftlergruppen in Deutschland kooperierten.

Erste Erfahrungen mit Virtueller Realität (VR) gehen auf das Jahr 1998 zurück, auf den Versuch, computergenerierte Gebäude zu naturalistischen Szenen zusammen zu setzen. Es zeigte sich sehr schnell, dass die Höhe von Objekten anders wahrgenommen wird als die Breite oder Tiefe.

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Dieser Effekt ist als die sog. „Mondtäuschung“ bekannt. Unsere Versuche ergaben, dass die Versuchspersonen mehrheitlich eine Gebäudehöhe von ca. ¾ der realen Höhe als realistische Darstellung empfanden.


Literatur:

Popp, Michael M.: „Darstellung von Breite und Höhe von Gebäuden in VR-Umgebungen“. In: Bülthoff, Heinrich H.; Fahle, Manfred; Gegenfurtner, Karl R.; Mallot, Hanspeter A. (Hrsg.), Beiträge zur 2. Tübinger Wahrnehmungskonferenz, 26.-28.2.1999,  Verlag Knirsch, Kirchentellinsfurt. 1999. S. 76.

Entwicklung von Raumwissen und Orientierungsfähigkeit

In einer Reihe von aufeinander aufbauenden Experimenten im Feld (Large Urban Areas) wurde die Entwicklung der navigatorischen Fähigkeiten von Kindern beiderlei Geschlechts untersucht. Die ersten Experimente wurden dabei mit Gruppen von Kindergarten- und Grundschulkindern durchgeführt. Untersucht wurden Routenwissen und Überblickswissen nach dem Erstkontakt mit einem vorher nicht bekannten Terrain. Im Einzelnen interessierte uns:

  • Aufbau kognitiver Karten
  • Kennzeichen von Landmarken
  • Mentale Modelle des Raumes


Die kleinen Probanden wurden einzeln in einer geführten Tour über das Gelände der UniBw geführt. An verschiedenen Punkten mußten sie zum von dort nicht sichtbaren Ausgangspunkt zeigen bzw. die vermutete Richtung zu diesem auf einem Richtungsmeßgerät (siehe unten) einstellen. Nach dieser Tour wurden sie gefragt, ob sie sich an bestimmte markante "Landmarken" beim Gang über das Gelände erinnern konnten. Ihr Wahrnehmungsstil und ihre navigatorischen Fähigkeiten wurden anschließend mit Paper-Pencil Tests gemessen. Ihre Vorerfahrungen im Zurechtfinden in neuen, unbekannten Terrains wurden erfragt und durch entsprechende Fragen an die Eltern abgesichert.

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Diese Experimente wurden einmal in der Realität unseres universitären Campus, zum anderen in der entsprechenden Virtuellen Realität durchgeführt. Die VR ermöglicht es den Probanden durch einfaches Gehen in der VR „herumzuwandern“. Die Richtung zum "Ziel" stellten sie in der VR durch Drehen der virtuellen Landschaft ein, bis der in der Bildmitte befindliche Zeiger in Zielrichtung zeigte.

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Der Vergleich der Resultate mit denen von Erwachsenen erlaubte uns eine schrittweise Annäherung an den Prozess der Erlangung navigatorischer Fähigkeiten. Es zeigte sich, das dies kein kontinuierlicher Vorgang ist, sondern dass in bestimmten Altersstufen Sprünge in der Entwicklung auftreten. Dies haben Entwicklungspsychologen schon seit längerem vorhergesagt. Grundsätzlich unterscheiden sich die Qualität des Richtungszeigens in der realen Welt nicht von den entsprechenden Leistungen Erwachsener:

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gezeigte Richtung (blau) vs. wahre Richtung (rot)           Güte der Zeigeleistung

Die Qualität der entsprechenden Zeigeleistung in der VR fiel dagegen deutlich schlechter aus. Dies ist ein Hinweis auf die in diesem Entwicklungsalter vorherrschende egozentrische Sicht der kognitiven Karten unserer kleinen Probanden. Daraus entwickelt sich erst bei jungen Erwachsenen ein allozentrisches System der Raumkognition.


Literatur:

Neidhardt, Eva; Popp, Michael M.: “Activity Effects on Path Integration Tasks for Children in Different Environments”. In: Stachniss, Cyrill; Schill, Kerstin; Uttal, Davis (Hrsg.): “Spatial Cognition VIII: International Conference, Spatial Cognition2012; Kloster Seeon, Germany; August 31.8.-3.9.2012”; Berlin, Springer, 2012. S. 210-219.

Neidhardt, Eva; Popp, Michael M.: “Spatial Tests, Familarity with the Sourroundings, and Spatial Activity Experience”. In: Journal of Individual Differences, Vol. 31, Verlag Hogrefe. 2010. S. 59-63.

Neidhardt, Eva; Popp, Michael M.: „Barriere-Effekt beim Richtungszeigen in unbekannten navigierbaren Makroräumen“. In: Khader, Patrick; Jost, Kerstin; Lachnit, Harald; Rösler, Frank (Hrsg.): „Beiträge zur 50. Tagung Experimentell arbeitender Psychologen“, Marburg 3.-5.3.2008, Papst Science Publishers, Berlin. 2008. S. 178.

Popp, Michael M.; Neidhardt, Eva: „Spatial Tests and Spatial Activity: How do they Contribute to Spatial Orientation in Familiar Macro Environments?“ In: XXIX International Congress of Psychology; 20.-25.7.2008; Berlin. 2008. No. 58.

Platzer, Edna: „The human navigation process and its comparability in complex real and virtual environments”, Dissertation, Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik, 2005.

Popp, Michael M.; Platzer, Edna; Eichner, Matthias; Schade, Marion: „Walking with and Without Walking: Perception of Distance in Large-Scale Urban Areas in Reality and in Virtual Reality”. In: Presence: Teleoperators and Virtual Environments, MIT Press, Vol. 13 (1).2004. S. 61-76.

Popp, Michael M.; Platzer, Edna: „Entfernungswahrnehmung in der Realität und in VR“. In: Bülthoff, Heinrich H.; Gegenfurther, Karl R.; Mallot, Hanspeter; Ulrich, Rolf; Wichmann, Felix A. (Hrsg.), Beiträge zur 6. Tübinger Wahrnehmungskonferenz, 21.-23. 2.2003, Verlag Knirsch, Kirchentellinsfurt. 2003. S. 171.

Platzer, Edna; Popp, Michael M.: „Experimente in Virtueller Realität und in der Realität: Wahrnehmung von Distanz und Zeit in Large Scale Urban Areas“. In: Van der Meer, E; Hagendorf, H; Beyer, R; Krüger, F; Nuthmann, A; Schulz, S (Hrsg.), 43. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Berlin 22.-26.09.2002, Papst Science Publishers, Berlin. 2002. S, 272.

Schweitzer, Karin; Popp, Michael M.: „Raumkognition und virtuelle Realität“. In: Baumann, Martin K. R.; Krems, Josef (Hrsg.), Experimentelle Psychologie: Abstracts der 44. Tagung experimentell arbeitender Psychologen (TeaP), 25.-27. 3.2002, Chemnitz, Verlag Roderer. 2002. S. 59.

Popp, Michael M.: „Mentale Raumrepräsentationen, Orientierung und Navigation in 'large scale urban areas': Gibt es Geschlechtsunterschiede?“ In: Silbereisen, Rainer K.; Reitzle, M. (Hrsg.) 42. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Jena, 24.-28. 9.2000, Papst Science Publishers, Berlin. 2001. S. ###.

Popp, Michael M.: „Mentale Raumpräsentationen, Landmarken und Zeigeverhalten: Zur Qualität von Wegauskünften.“ In: Hacker, Winfried; Rinck, Mieke (Hrsg.), 41. Kongress der Deutschen Gesellschaften für Psychologie, Dresden, 27.9.-1.10.1998.

Popp, Michael M.: “Zeigeverhalten, Landmarken und mentale Raumrepräsentationen.“. In: Bülthoff, Heinrich H.; Fahle, Manfred; Gegenfurtner, Karl R.; Mallot, Hanspeter (Hrsg.), Beiträge zur 1. Tübinger Wahrnehmungskonferenz, 27.2.-1.3.1998, Verlag Knirsch, Kirchentellinsfurt. 1998. S. 73.

Popp, Michael M.: “Navigation in the Unknown, Frames of Reference, Virtual Reality, and the Role of visual Cues in Orientation.“. In: “18th European Conference on Visual Perception, Tübingen, Germany, 21.-25.8.95”, Perception, 24, Supplement. 1995. S. 73.