Telerobotiksysteme
Telerobotiksysteme sind gekennzeichnet durch die räumliche Entkoppelung von Mensch (Bediener, Operierender) und Roboter (Ausführungseinheit, Teleoperator). Sie kommen zum Einsatz, wenn
- der Arbeitsraum zu weit entfernt ist,
- der Arbeitsraum zu klein oder zu groß ist,
- der Arbeitsraum zu gefährlich ist.
Teleoperationssysteme finden in den verschiedensten Bereichen Anwendung, wie z.B. dem On-Orbit-Servicing von Satelliten, dem Rohstoffabbau in der Tiefsee oder der Telechirurgie. Die Arbeiten an unserem Institut konzentrierte sich auf die Bereiche
- minimalinvasive Chirurgie
- Kampfmittelentschärfung
- Raumfahrtanwendungen (On-Orbit-Servicing)
Aus psychologischer Sicht sind bei diesen speziellen Mensch-Maschine-Schnittstellen folgende Schwerpunkte und deren Auswirkung auf die menschliche Informationsverarbeitung interessant:
- Auf der Operatorseite müssen die Eingabegeräte eine möglichst schnelle und fehlerfreie Steuerung des entfernten Roboters ermöglichen. Gleichzeitig muss der Operator mit allen Informationen über die Umstände versorgt werden, die in der entfernten Umgebung herrschen. Dazu gehören dort wirkende Kräfte, Raumposition von Objekten, Beschaffenheit von Oberflächen, etc.
- Auf der Teleoperatorseite müssen geeignete Sensoren eingesetzt werden, die dem menschlichen Benutzer die relevanten Informationen über die entfernte Umgebung zurückmelden.
- Auf der Kommunikationsebene entstehen bei diesen Systemen spezielle Probleme wie beispielsweise Zeitverzögerungen und Verzerrungen durch Datenverluste.
Anwendung: Minimalinvasive Chirurgie
Neben den Vorteilen minimalinvasiver Chirurgie (wie etwa dem Wegfall des Öffnens des Brustkorbs für Herzoperationen) bietet die minimalinvasive Chirurgie mittels Telerobotik weitere Vorteile:
- Da der Operateur einen Operationsroboter bedient, muss er sich nicht im selben Raum befinden wie der Patient. Das bedeutet zum einen, dass die Anforderungen an die Sterilität des Operateurs gering sind und er die Operation auch unterbrechen kann. Zudem könnte die Operation sogar von einem ganz anderen Ort aus ausgeführt werden, z. B. um Patienten den Eingriff durch Spezialisten zu ermöglichen, die nicht vor Ort sind.
- Herzoperationen können auch ohne Herz-Lungen-Maschine, d.h. beim schlagendem Herzen durchgeführt werden, da die Bewegung des Herzens durch einen Algorithmus kompensiert wird und dem Operateur ein unbewegtes Herz dargestellt wird.
Bildunterschrift: Quelle: Basdogan, Sedef, Harders, Wesarg (2007), IEEE Computer Graphics and Applications
Die Operationen erfolgen bislang allein aufgrund von optischen Informationen, d.h. ohne haptische Rückmeldung. Der Operateur spürt keinen Widerstand beim Durchtrennen von Gewebe oder keine Fadenspannung beim Nähen.
Bildunterschrift: DaVinci Operator Einheit
Bildunterschrift: DaVinci Teleoperator Einheit
Mehrere Versuche mit verschiedenen Operationsrobotern und haptischer Rückmeldung dienten der Verbesserung dieser Technik.
Bildunterschrift: Chirurgie Teleoperator des DLR
Literatur:
Anwendung: Demonstrator zur Entschärfung von Landminen
Landminen und Blindgängermunition fordern weltweit jedes Jahr viele Opfer (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/humanitaere-hilfe/minenraeumen/204750). Die Entschärfung von Blindgängern ist auch für Spezialisten gefährlich. Eine Möglichkeit wäre, die Entschärfung ferngesteuert durch einen Operateur auszuführen. Um die Anforderungen und Möglichkeiten für ein derartiges System zu testen, wurde gemeinsam mit der TU München ein Demonstrator entwickelt und erprobt.
Bildunterschrift: Muster Landmine
Bildunterschrift: Operator bei der Minenentschärfung am Demonstrator
Literatur:
Anwendung: Außenbordeinsätze in der Raumfahrt (On-Orbit-Servicing)
Der Außenbordeinsatz (extra-vehicular activity ‚Außenbordaktivität‘ kurz: EVA) ist ein Sammelbegriff in der Raumfahrt für alle Arbeiten eines Raumfahrers außerhalb eines Raumfahrzeuge. EVA gelten als gefährlich, weil sich der Raumfahrer hierfür aus der (relativ) sicheren Umgebung seines Fahrzeugs lediglich durch einen Raumanzug geschützt in das freie Vakuum des Weltraums begeben muss. Die physischen Belastungen, denen ein Raumfahrer dabei ausgesetzt ist, sind aus verschiedenen Gründen hoch. Dazu zählen eine hohe Lärmbelastung durch die im Anzug eingebaute Klimaanlage, starke motorische Einschränkungen durch den steifen Raumanzug, zusätzlich ist das Gesichtsfeld durch den Helm an den Rändern deutlich eingeschränkt.
Der Ausstieg erfolgt:
- zum Aussetzen oder Einholen von Messinstrumenten – beispielsweise für die Messung von Mikrometeoriten,
- zu Aufbau- und Reparaturarbeiten, beispielsweise an der ISS oder am Hubble-Weltraumteleskop,
- zu wissenschaftlichen Zwecken,
- zur Erprobung neuer Techniken.
Vorarbeiten am Institut für Arbeitswissenschaft
Die Simulation von Schwerelosigkeit erfolgt sowohl in der Ausbildung von Astronauten als auch bei entsprechenden Versuchen unter Wasser. So wurde das Schwimmbad der Universität für Versuche zu einer Weltraummontage genutzt. Die Teilnehmer mussten standardisierte Aufgaben erfüllen, die sich bezüglich der motorischen und haptischen Anforderungen unterschieden. Zur Simulation des reduzierten Tastgefühls durch einen Raumanzug trugen sie mehrere Paar Handschuhe. Die Leistung bei dieser Aufgabe wurde verglichen mit der Ausführung über Telerobotik und erbrachte Hinweise auf die Möglichkeiten und Grenzen der Ausführung von Reparaturarbeiten im Orbit durch Außeneinsätze von Astronauten bzw. Telerobotik.
Bildunterschrift: Testbed (IfA Eigenentwicklung)
Bildunterschrift: EVA Training am Testbed
Bildunterschrift: Teleoperator am Testbed
Bildunterschrift: Operator bei der Testbedbedienung
Bildunterschrift: geplante Testeinrichtung für Teleoperationsexperimente außen am Modul „Columbus“ der ISS
Literatur:
Strauß, Lena: „Erfassung der feinmotorischen Performanz beim On-orbit-Servicing mittels Telemanipulation und Unterwassersimulation”. Dissertation, Universität der Bundeswehr München, Institut für Arbeitswissenschaft, 2011.