Mit Wissen und Sensibilität gegen Depression. Auftaktveranstaltung des Bündnisses für psychische Gesundheit in der Bundeswehr
28 Oktober 2022
Depression kann uns alle treffen: Unter diesem Motto fand an der Universität der Bundeswehr München am 24. Oktober 2022 die Auftaktveranstaltung des Bündnisses für psychische Gesundheit in der Bundeswehr statt. Die von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, vom Psychotraumazentrum der Bundeswehr und von Frau Prof. Antje-Kathrin Allgaier, Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Institut für Psychologie der Universität der Bundeswehr München, organisierte und vom Münchner Bündnis gegen Depression unterstützte Veranstaltung eröffnete die Informationswoche für Universitätsangehörige zum Thema „Depressive Störungen“.
Psychische Erkrankungen seien in der Bundeswehr genauso ausgeprägt wie in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland, sagt Oberstarzt Dr. Gerd Willmund, Stellvertretender Klinischer Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin. Jedoch, fügt er hinzu, ist es für Soldatinnen und Soldaten erheblich schwieriger, sich mit dem Thema mentale Gesundheit auseinanderzusetzen. Das soll die Aufklärungskampagne des Bündnisses für psychische Gesundheit in der Bundeswehr ändern.
Diskriminierung statt Unterstützung?
Die weit verbreitete Annahme, Auslandseinsätze würden das Depressions- und Suizidrisiko erhöhen, wurde in einer Studie widerlegt: Die Suizidrate bei Soldatinnen und Soldaten, die nicht oder nur einmal im Einsatz waren, ist zweimal höher als bei Bundeswehrangehörigen mit mehreren Einsätzen. Auch depressive Störungen treten bei Einsatzveteranen vergleichsweise seltener auf.
Dabei findet ein anderes Problem aus dem Bereich der psychischen Gesundheit in der Bundeswehr jedoch viel weniger Beachtung: Das Verheimlichen des psychischen Leids.
Bei einsatzbedingten psychischen Symptomen sucht nur rund die Hälfte der Betroffenen Hilfe auf. Einige der häufigsten Gründe für den Verzicht auf eine professionelle Beratung oder Behandlung sind Sorgen um die Karriere und Bedenken in Bezug auf das eigene Ansehen bei den Vorgesetzten sowie im Kameradenkreis. Laut einer 2017 veröffentlichten Umfrage wird psychisch betroffenen Soldatinnen und Soldaten Schwäche, Inkompetenz, Selbstverschuldung oder sogar Simulation zugeschrieben, was zu Diskriminierung, Mobbing oder zu schlechten beruflichen Beurteilungen führen kann. Es besteht also dringender Aufklärungsbedarf – auch bei den Vorgesetzten. „Die Betroffenen in der Bundeswehr müssen beruflich geschützt werden“, stellt Dr. Willmund fest.
Depressionshilfe rettet Leben
Rechtzeitige Auseinandersetzung mit psychischen Problemen und insbesondere mit Depression ist entscheidend für die Suizidprävention. Prof. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, erklärt: Suizidgedanken oder ein Todeswunsch können zwar bei sehr vielen Menschen in kritischen Lebenssituationen durchaus auftreten, der Übergang zu suizidalen Handlungen findet aber überwiegend im Rahmen von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen statt. Dank der Entwicklungen in der Versorgung von psychisch belasteten Menschen sind Suizidfälle in Deutschland zwischen 1980 und 2020 um etwa die Hälfte zurückgegangen. „Von 18.000 zu 9000 im Jahr – das ist fast eine Kleinstadt. Weltweit gibt es mehr Todesfälle durch Suizid als durch Krieg“, so Professor Hegerl.
Die Behandlungsmöglichkeiten bei Depression – insbesondere Antidepressiva und Psychotherapie - werden inzwischen durch weitere Hilfsangebote wie das digitale Selbstmanagementprogramm iFightDepression ergänzt. Das Online-Tool mit professioneller Begleitung wurde von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe entwickelt und in Kooperation mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr für Soldatinnen und Soldaten adaptiert.
Betroffenen sowie ihren Angehörigen in München wird auch bei dem Münchner Bündnis gegen Depression e. V. geholfen. 2008 gegründet, bietet der Verein Betreuung durch Selbsthilfegruppen und Peer-to-Peer-Gespräche sowie eine Vielfalt an Aktivitäten wie Lauf- und Spaziergruppe oder Schreibwerkstatt an. Neben den Unterstützungsangeboten gehört zu den Tätigkeitsschwerpunkten des Vereins Aufklärungsarbeit zum Thema Depression für die Öffentlichkeit und für Multiplikatoren, betonte die Referentin Birgit Giller. Zur Inanspruchnahme der Angebote ist keine Vereinsmitgliedschaft nötig.
Mut zur Offenheit: Die Betroffenen sprechen
„Ich stand am Bahnhof und überlegte: Was machst du denn jetzt, steigst du in den Zug oder schmeißt du dich davor? Dann habe ich mich für das Einsteigen entschieden.“ Oberstleutnant Sebastian B. erzählt über seine Entscheidung, professionelle Hilfe zu suchen, über die antidepressive Behandlung und über sein Leben mit der Diagnose Depression. Besonders schwierig sei für ihn gewesen, den ersten Schritt zu wagen und den eigenen Krankheitszustand zu akzeptieren, für den es anscheinend keine bestimmten Auslöser gab: „Ich dachte: Eigentlich ist in meinem Leben alles in Ordnung.“ Als der Sanitätsdienst eine Informationskampagne über Depression ins Leben gerufen hat, fand sich außer Oberstleutnant B. kein Soldat, der bereit gewesen wäre, über die eigene psychische Erkrankung offen zu sprechen. Nach der Veröffentlichung seiner Video-Interviews erreichten ihn Nachrichten aus der ganzen Bundeswehr: „Alle, vom General bis zum Obergefreiten, haben mir für meinen Mut gratuliert.“
Doch oft bemerken die Betroffenen nicht, dass sie Hilfe brauchen. Während Leutnant zur See Florian R., Student im Studiengang Psychologie an der Universität der Bundeswehr München, an seiner Masterarbeit schreibt, isst er immer weniger, schläft immer schlechter und räumt sein Zimmer nicht mehr auf, obwohl er normalerweise sehr ordentlich ist. Trotz seines Fachwissens und der Sensibilisierung für Themen rund um die psychische Gesundheit kommt der Student nicht einmal auf den Gedanken, er könnte depressiv sein: „Es war mir gar nicht aufgefallen. Ich habe einfach zu mir gesagt: Du musst weiterarbeiten.“ Erst als ein Freund ihn direkt auf sein Problem anspricht, sucht R. Hilfe und kommt in die Therapie. Die Bilanz seiner Erfahrungen gibt er an seine Kameradinnen und Kameraden weiter: „Als Offizier muss man in der Lage sein, sich selbst zu führen, bevor man andere führen kann. Dazu gehört auch geistige Gesundheit. Wer sich mit sich selbst beschäftigt, bringt mehr Verständnis für das Leid der Unterstellten mit und kann besser auf sie achten.“
Die Auftaktveranstaltung eröffnete eine Reihe von Seminaren für militärische Führungskräfte, Fachpersonal des Sanitätszentrums sowie zivile Beraterinnen und Berater an der Universität der Bundeswehr München. Die Aufklärungskampagne für Universitätsangehörige und Studierende zu den Themen Depressionsprävention und Hilfsangebote wird auch über die Informationswoche hinaus fortgesetzt. Niemand darf zurückgelassen werden: Dieses Handlungsprinzip gilt auch bei psychischen Problemen. Im Rückblick auf die Veranstaltung resümiert Frau Professor Allgaier: „Die Auftaktveranstaltung war ein wichtiger Beitrag zur Sensibilisierung für depressive Störungen bei uns auf dem Campus.“
Text: Olga Lantukhova; Bild, v. li. n. re.: Prof. Ulrich Hegerl, Birgit Giller, Janika Giesen, Prof. Antje-Kathrin Allgaier, Andreas Czaplicki, Oberstarzt Gerd Willmund. Aufnahme: Olga Lantukhova