3 Fragen an Dr. Elisa Canzani
Liebe Frau Dr. Canzani, was war bisher Ihr spannendstes berufliches Projekt?
Ich habe viele verschiedene Erfahrungen in Data Science-Projekten gesammelt. Wenn die Dissertation ein „Projekt“ ist, so war die ganze Dissertation mein spannendstes Projekt. Aber insbesondere der Teil, der über das Marie-Curie-Stipendium lief, war eine einmalige Erfahrung, die ich so nie erwartet hätte. Es war ein Europäisches Kolleg, an dem viele europäische Universitäten beteiligt waren. Wir haben uns alle sechs Monate getroffen und uns über unsere Forschung ausgetauscht. Die EU hat uns wirklich so gefördert, dass wir uns auf die Forschung und den wissenschaftlichen Fortschritt konzentrieren konnten. Wenn man promoviert, kann es ja sonst passieren, dass man alleine in seinem Büro sitzt und nur ab und zu seinen Betreuer trifft. Aber diese Graduiertenschule zum Thema „IT Innovation for Crisis Management“ gab die Möglichkeit, sich wirklich anderen Forschern gegenüber zu öffnen, sich mit ihren Themen zu beschäftigen. Und nicht nur die Professorinnen und Professoren, sondern alle PhD-Fellows waren aufgefordert, Feedback zu geben. Dies fördert die Neugier – nicht nur auf das, was Du selbst tust, denn das ist vielleicht ein sehr enges Feld –, sondern es weitet den Blick für andere intellektuelle Leistungen.
Sie bewegen sich beruflich seit vielen Jahren im Bereich Mathematik, Informatik, Datenanalyse – einem von Männern dominierten Berufsfeld. Wie haben Sie den Berufseinstieg erlebt, welche Erfahrungen haben Sie im Verlauf Ihrer Karriere als Frau gemacht?
In meinem Mathematikstudium waren sogar mehr Frauen als Männer – aber Mathematik haben viele studiert, um Lehrer oder Lehrerin zu werden. Ich war die einzige, die immer gesagt hat, sie möchte in die Industrie gehen. An der Universität der Bundeswehr München war das Verhältnis nicht mehr ausgewogen: Am Institut waren außer mir nur Männer. Aber ich hatte persönlich nie ein Problem damit, nie! Es war für mich interessant zu sehen, dass Frau Professor Lechner das Institut geleitet hat. Sie hat also eine Gruppe Männer geführt! Beruflich war ich immer in einem Umfeld, in dem sich viel mehr Männer als Frauen bewegt haben. Ganz am Anfang musst Du als Frau zeigen, dass Du selbstbewusst bist. Du gehst nicht rein mit der Einstellung, Du bist eine Frau und die anderen sind Männer, sondern Du sagst Dir selbst, Du bist dabei, weil Du qualifiziert und gut bist, weil Du die gleiche Ausbildung genossen hast. Um in Deiner Karriere erfolgreich zu sein – unabhängig vom Geschlecht – musst Du Selbstvertrauen haben, in das, was Du weißt und was Du kannst.
Bei der IABG habe ich in einer ganz jungen Abteilung gearbeitet, wir kamen alle direkt von der Uni, da war die Frage Frau oder Mann überhaupt kein Thema. Aber wir hatten Militärprojekte, die Kunden waren alles Männer, alle in Uniform. Da könnte man bei Besprechungen schon das Gefühl bekommen, dass sie Dich anders behandeln, weil Du eine Frau bist. Aber die Lösung ist: Achte einfach nicht drauf! Anfangs dachte ich, dass ich besser in einer Gruppe mit Männern arbeiten kann. Mit der Zeit habe ich mehr und mehr geschlechtergemischte Gruppen schätzen gelernt. Zuallererst suchst Du natürlich nach bestimmten Fähigkeiten, die eine Person hat, aber „mixed groups“ funktionieren am besten, das habe ich so erlebt.
Gibt es Persönlichkeiten, die für Sie ein Vorbild sind, beruflich oder privat?
Ich glaube, das erste Rollenmodell sind immer Deine Eltern. Wenn Du anfängst, die Welt zu entdecken, hast Du schon ein Verhaltensmuster, das Dir Deine Eltern mitgegeben haben. Ich selbst habe immer versucht, zu lernen und zu verstehen, was ich mag und was ich nicht mag. Das Ziel war immer, die bessere Version meiner selbst zu werden – inspiriert von meiner Umgebung, nicht von einzelnen Personen. Mathematik habe ich immer geliebt. Und diese Leidenschaft für Mathematik, für Data Science und analytisches Modellieren, ist es, die mich antreibt. Leidenschaft und Neugier möchte ich auch in meinem Team fördern. Auch einer jungen Schülerin oder Studentin würde ich raten, ihrer Leidenschaft zu folgen. Sie soll sich nicht davon abhalten lassen, dass eine bestimmte Karriere sonst eher Männer einschlagen. Die Leidenschaft wird stärker sein als mögliche Hindernisse, die sie gerade vor sich sieht.
Das Interview führte Stephanie Borghoff.
Hier finden Sie den Begleitartikel.
Zur Person
Elisa Canzani hat nach ihrer Schulzeit in Italien ein Mathematikstudium absolviert. Sie kam als Gastwissenschaftlerin an die Fakultät für Informatik der Universität der Bundeswehr München, war Stipendiatin des Marie-Skłodowska-Curie-Programms der Europäischen Union und sammelte Praxiserfahrung in der Wirtschaft. Nach erfolgreichem Abschluss ihrer von Prof. Ulrike Lechner betreuten Dissertation zum Thema „Dynamic Interdependency Models for Cybersecurity of Critical Infrastructures” war sie zunächst bei der IABG am Aufbau einer neuen Abteilung beteiligt. Aktuell ist Dr. Canzani Senior Data Scientist beim IT-Dienstleister Cognizant im Bereich Artificial Intelligence and Analytics. Sie arbeitet in Madrid und betreut Kunden in ganz Europa.
Bild: privat; grafische Gestaltung: Elisabeth Greber