Forschungsprojekt

Projektleitung: Prof. Dr. Marc Frey 

ProjektmitarbeiterInnen: Dr. Tobias Wolffhardt / Dipl-Gyml. Sabrina Kirschner

Zusammenfassung

Die ‚urbane Herausforderung‘ zählt heute zu den wichtigsten Problemfeldern der globalen Entwicklungspolitik. Das hängt vor allem mit dem dramatischen Wachstum von Städten zusammen: seit 1980 hat sich die Zahl der Megacities mit mehr als zehn Millionen Einwohnern weltweit von drei auf 25 verachtfacht, schon jetzt lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten – und in 25 Jahren werden es gar zwei Drittel sein, prognostizieren die Vereinten Nationen. Entwicklungspolitik findet daher nicht nur zunehmend in urbanen Räumen statt. Sie richtet sich auch verstärkt an stadtspezifische Herausforderungen wie Infrastruktur, Wohnraum, Management von Ressourcen und Versorgung.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass es bisher nur wenige Studien gibt, die die vielfach miteinander verflochtene Geschichte von Urbanisierung und Entwicklungspolitik erforscht haben. Dies verwundert umso mehr, als dass rasante Urbanisierungsprozesse ein Charakteristikum des 20. Jahrhunderts waren – auch und gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern: Nairobi beispielsweise, 1896 gegründet, wuchs von einigen hundert Bewohnern auf 49 000 im Jahre 1936 an, zählte 1962 schon 267 000 Einwohner und hat heute fast drei Millionen Einwohner, Bogotá zählte 1950 noch 647 429 Einwohner, 1990 aber schon fast fünf Millionen – und Jakarta entwickelte sich innerhalb eines Jahrhunderts von einer Stadt mit 150 000 Einwohner in eine Megastadt mit knapp 20 Millionen Bewohnern. Solche Dynamiken veränderten fundamental die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen, komprimierten Gesellschaften auf engstem Raum, weckten Hoffnungen, Ängste und die Improvisationskünste der neuen und alten Stadtbewohner – und stellten Stadtregierungen vor gewaltige soziale, ökologische und infrastrukturelle Probleme. Nach dem Zweiten Weltkrieg wandte sich auch die globale Entwicklungspolitik Städten zu; Mitte der 1970er-Jahre sprachen Entwicklungsökonomen wie Michael Lipton bereits von einem regelrechten „urban bias“ der Entwicklungspolitik. [Michael Lipton, Why Poor People Stay Poor. A Study of Urban Bias in World Development, London 1977.]


Das Projekt erforscht die Geschichte dieser urbanen Entwicklungspolitik zwischen 1945 und 1992, wobei darunter eine Entwicklungspolitik verstanden wird, die in und für Städte der Entwicklungs- und Schwellenländer gemacht und konzipiert wurde. Damit will das Projekt aus einem speziellen Blickwinkel zugleich wichtige Einsichten in die allgemeine Geschichte der Urbanisierung im zwanzigsten Jahrhundert eröffnen. Ausgehend vom Rahmenkonzept der ‚global governance‘ und mithilfe einer ‚multizentrischen Geschichtsschreibung‘ sollen Kernfragen untersucht werden, die auch für eine auf die Gegenwart und Zukunft ausgerichtete sozialwissenschaftliche, geographische und anthropologische Forschung Relevanz haben: Wann, warum und wie entstand urbane Entwicklungspolitik als ein neues globales Politikfeld? Welche entwicklungspolitischen Vorstellungen und Strategien entwarfen die involvierten Akteure? Wie wandelten sich jene mit der Zeit und warum taten sie dies? Welche lokalen Auswirkungen hatten urbane Entwicklungsprojekte?

Die Projekte

Teilprojekt 1 untersucht den Wandel globaler Wahrnehmungen, Diskurse und entwicklungspolitischer Ansätze im Hinblick auf die entstehende Wohnungsnot in den Städten von Entwicklungsländern, die sich seit den 1940er-Jahren vor allem in der Ausbreitung von sogenannten ‚Slums‘ manifestierte. Das Projekt wählt einen biographischen Zugang und konzentriert sich auf eine Gruppe global handelnder Experten, welche die urbane Entwicklungspolitik internationaler Organisationen von den 1940er bis zu den 1970er-Jahren maßgeblich gestalten konnten.

Teilprojekt 2 nimmt die eher klassische Umweltdimension urbaner Entwicklungspolitik in den Blick und fragt danach, wie sich Wahrnehmungen und der Umgang mit urbanen Umweltproblemen seit den 1970er-Jahren verändert haben. Konkret wird am Beispiel Mexico Citys der Umgang mit Luftverschmutzung erforscht, am Beispiel São Paulos die Auseinandersetzung mit Gewässerverschmutzung und am Beispiel Singapurs die neue Bedeutung weicher Kategorien wie ‚Lebensqualität‘. Untersuchte Akteure umfassen die Weltbank, die WHO, das UNEP und die Ford Foundation.

Förderung