Programmübersicht |
Die Lehr- und Forschungsreise 2021 fand aufgrund der Corona-Pandemie nur in eingeschränkter Form statt. Innerhalb der EU aber waren Reisen im September/Oktober 2021 wieder möglich. Und so führte die LFR-2021 unter der Leitung von Prof. Khan und Prof. Stetter in den Norden Italiens. Auch hier, im Herzen (Mittel)Europas, kann viel über internationales Recht und internationale Politik in Vergangenheit und Gegenwart gelernt werden.
Die Busreise führte zunächst zur Europabrücke in Tirol: Symbol europäischer Einheit vor dem Hintergrund auch trennender Geschichte. Das Referat einer Studierenden informierte anschaulich über die nicht ferne, nach Ende des 1. Weltkrieges durch den Vertrag von Saint-German festgelegte Brennergrenze. Alle Studierenden haben dann im Laufe der Reise intensiv vorbereitete Vorträge gehalten, die auch in schriftlicher Form in einem Reader während der Reise vorlagen. Später am Vormittag dann ein Stopp mit fachkundiger Führung durch das Kloster Neustift in Südtirol: Ein Beispiel für das gemeinsame kulturelle Erbe Europas. Am Nachmittag folgte sodann, ausgehend von dem unter Mussolini gebauten Monumente alla Vittoria (Siegesdenkmal), eine mehrstündige politische Stadtführung in Bozen. Im Zentrum standen dabei die Zeugnisse der faschistische Periode im Bozner Stadtbild. Viel Diskussionsstoff, auch im Hinblick auf die teilweise bis heute fortwirkenden politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Zeit (d.h. der 1920er bis 1940er Jahre). Abgeschlossen und abgerundet wurde dieser erlebnisreiche erste Tag mit einem Roundtable zu Südtirol im Rahmen der EU / Europaregion (mit Roland Benedikter, EURAC Research).
Ausgehend vom Quartier in Sirmione am Gardasee, war der folgende Tag im Schwerpunkt (internationaler) Politik und Recht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewidmet: In den Unabhängigkeits- und Einigungskriegen dieser Epoche, und so auch im entstehenden italienischen Nationalstaat, wurden zentrale Grundlagen der europäischen Staatenwelt wie auch der internationalen Rechtsordnung der Gegenwart gelegt. Wenige Orte machen dies so unmittelbar erfahrbar wie die Gedenkstätten in San Martino und Solferino: Ossarien, Turm (Torre) und Museum dokumentieren die italienischen Unabhängigkeitskriege gegen die habsburgisch-österreichische Herrschaft – aber vor allem das Leid, das mit einer erbarmungslosen Kriegführung einhergeht. All dies eingebettet in einen internationalen, multilateralen Kontext - insbesondere durch die Beteiligung Frankreichs. Die besonders blutige Schlacht von Solferino war für den Schweizer Henry Dunant Ausgangspunkt der Gründung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und Keimzelle der Entfaltung des (humanitären) Völkerrechts sowie zivilgesellschaftlicher Bewegungen, die die internationale Politik seit dem 19. Jahrhundert prägen. Zur Vertiefung und Veranschaulichung des Verständnisses der Entstehung europäischer politischer Ordnung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit klang der Tag mit einem Besichtigung des Machtzentrums des ehemaligen Herzogtums Mantua aus, des beeindruckenden Palazzo Ducale.
Am Folgetag wurden dann Stiefel, Regenbekleidung und Handschuhe eingepackt. In einer mehrstündigen Wanderung wurde von den Teilnehmern der Lehr- und Forschungsreise am Pasubio-Pass die Strade delle 52 Galerie (Straße der 52 Tunnel) „bezwungen“. Hier standen sich im 1. Weltkrieg österreichische und italienische Truppen im Hochgebirge gegenüber und hatten einzigartig eindrucksvolle Tunnelsysteme in den alpinen Stein gesprengt. Auch für die Gruppe eine physische Herausforderung, die von allen bravourös gemeistert wurde – auch von den Professoren.
Tags darauf dann ein Besuch an der Universität in Brescia mit einem spannenden Vortrag zu einer aktuellen Frage europäischer Politik, namentlich einer volkswirtschaftlichen Perspektive auf Italiens Rolle im Euro-Raum und die Auswirkungen der Schuldenkrise in zahlreichen Euro-Staaten in und auf Italien. Abschließend dann der Besuch des „Vittoriale“ in Salò, einer Stadt am Gardasee in der Mussolini in den letzten Monaten seiner Herrschaft die Hauptstadt verlegt hatte („Repubblica di Salò: 1943-1945). Heimat auch von Gabriele d’Annunzio, überaus wohlhabender und einflussreicher Kriegsheld, Dichter, Populist – schillernd und höchst umstritten, nicht zuletzt wegen seiner Nähe zum Faschismus („Das Beste des Faschismus stammt von mir“). Die Besichtigung seines weitläufigen Anwesens, des „Vittoriale“, daher ein Muss für ein tieferes Verständnis der intellektuellen und politischen Zerrissenheit Italiens – bis heute.