Was bewegt Menschen zu einem Völkermord? Wer sind die Täter?
21 Januar 2021
In drei frisch erschienenen Publikationen von Herrn Prof. Timothy Williams finden wir einen Einblick in aktuelle Forschung zu Täterinnen und Tätern, was sie motiviert, wie sich diese Motivationen verändern sowie wie eine Forschung zu und mit Täterinnen und Tätern überhaupt methodisch und ethisch möglich ist.
The Complexity of Evil. Perpetration and Genocide von Timothy Williams (Rutgers University Press, 2020)
Warum beteiligen sich Menschen an Völkermord? Herr Prof. Timothy Williams gibt in seinem neuen Buch „The Complexity of Evil. Perpetration and Genocide“ eine Antwort auf diese grundlegende Frage. Mit Ansätzen aus der Politikwissenschaft, Soziologie, Kriminologie, Anthropologie, Sozialpsychologie und Geschichte entwickelt er ein Modell, das Täterschaft in verschiedenen Fällen erklären kann und diskutiert vor allem den Holocaust, den Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994 sowie den Völkermord der Roten Khmer in Kambodscha Ende der 1970er. Das Buch bietet eine Zusammenführung bisheriger Literatur mit neuen Feldforschungsdaten aus Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der Roten Khmer. Somit ist das Modell sowohl systematisch und abstrakt als auch empirisch fundiert und bietet ein Werkzeug zum Verständnis der individuellen Beteiligung an verschiedenen Fällen von Völkermord. Letztlich hebt das Buch hervor, dass die Gründe für die Beteiligung an Völkermord sowohl komplex in ihrer Vielfalt als auch banal in ihrer Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit sind.
Mehr über das Buch erfahren Sie unter den beiden Links: Link (externer Link), Link (interner Link).
Das Buch ist bereits in Deutschland bestellbar.
"Motivational change in the perpetration of genocidal violence" von Jan Reinermann und Timothy Williams (Violence: An International Journal. 2020;1(1):144-165.)
Unser Verständnis von Völkermord und Gewalt hat stark von der intensiven Forschung über Täterinnen und Tätern sowie ihre Motivationen für eine Beteiligung an dieser Gewalt profitiert. In der Forschung zu Motivationen wird zwar davon ausgegangen, dass man ein dynamisches Verständnis braucht, dass sich diese Motivationen im Laufe der Zeit verändern, aber noch herrscht Unklarheit darüber, wie diese Veränderung genau funktioniert. Dieser Artikel basiert auf psychologischen Theorien, und trägt zum Verständnis solcher Motivationsveränderungen bei. Motivationen leiten sich aus Bedürfnishierarchien ab und werden durch diese strukturiert. Somit können sich die Hierarchien durch drei verschiedene Anpassungsprozesse innerhalb dieser Hierarchien verändern: Ergänzung von Motivation, Entfernung von Motivation und Neuordnung der Hierarchie. Der Artikel ist in erster Linie konzeptionell, zieht aber bei seiner Entwicklung Erkenntnisse aus verschiedenen Fallbeispielen heran und illustriert das Modell mit empirischen Beispielen von Motivationen für eine Beteiligung am Völkermord. Den Artikel finden Sie unter folgendem Link (externer Link).
"Victims Everywhere, Perpetrators Nowhere: Locating and Talking to Perpetrators in Cambodia" von Timothy Williams
in: Researching Perpetrators of Genocide edited by Kjell Anderson and Erin Jessee (University of Wisconsin Press, 2020)
Forscher stehen oft vor ethischen und methodischen Herausforderungen, wenn sie qualitative Feldforschung mit Täterinnen und Tätern von Völkermord durchführen. Dazu gehören die Überwindung von Vorurteilen, die oft mit der Forschung an Täterinnen und Tätern einhergehen, die Konzeptualisierung, Identifizierung und Rekrutierung von Forschungssubjekten, die Selbstfürsorge bei der Durchführung von Interviews im Zusammenhang mit extremer Gewalt und die Minimierung des Schadens für Interviewpartner, die selbst traumatisiert sein könnten – denn auch Täterinnen und Täter können von ihrer gewaltsamen Vergangenheit traumatisiert sein.
Diese Sammlung von Fallstudien von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen wirft einen kritischen und reflektierenden Blick auf die qualitative Feldforschung zu diesem Thema. Begleitet von einer Einleitung, die zentrale Fragen der Täterforschung darlegt, und einer Schlussfolgerung, die einen "Code of Best Practice" zusammenfast, bietet der Band einen wesentlichen Ausgangspunkt für zukünftige Forschung und trägt gleichzeitig zur Forschung zu Völkermord und Transitional Justice bei.
Das Buch ist erhältlich unter folgendem Link (externer Link)