Veranstaltungssaal wird "Stauffenberg-Saal" benannt
18 Juni 2019
Am 18. Juni 2019 wurde mit einer Feierstunde und einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Mit Verantwortung entscheiden. 20. Juli 1944 – 75 Jahre später“ ein Veranstaltungssaal der Universitätsbibliothek in „Stauffenberg-Saal“ benannt und gleichzeitig die Büste von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg dort aufgestellt. Die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München, Prof. Merith Niehuss, lud zu dieser besonderen Veranstaltung im Gedenken an den Anschlag auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 ein.
Kritische Auseinandersetzung erwünscht
Durch die Aufstellung der Büste, ein Nachguss aus dem Besitz der Witwe des Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die bisher im Senatssaal der Universität stand, „soll die nicht unumstrittene Persönlichkeit Stauffenbergs mehr hochschulöffentliche Sichtbarkeit und Würdigung erfahren“, erklärte Prof. Niehuss. „Gerade für die Studierenden, die in der Bibliothek lesen und lernen, ist es wichtig, sich immer wieder mit dem Traditionsverständnis der Bundeswehr sowie ihren zentralen Figuren zu befassen und auch kritisch auseinander zu setzen.“ In ihrer Rede ging die Präsidentin auf die Rolle des Oberst von Stauffenberg und die Auswirkungen seiner Tat bis in die heutige Bundeswehr hinein ein: Mit der Gründung der Bundeswehr in den 1950er Jahren begann die kritische Auseinandersetzung mit der Person von Stauffenbergs und der Bedeutung seines Handelns. Um eine neue Führungsriege der Bundeswehr aufzubauen, mussten die Politiker der Nachkriegszeit eine persönliche Auswahl von geeigneten Kandidaten aufgrund bestimmter Kriterien treffen. Die Kriegsereignisse lagen belastend auf jeder einzelnen Biografie zu dieser Zeit. Die Einstellung zum Anschlag auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wurde zu einem entscheidenden Kriterium bei dieser Auswahl. Man erhob eine Handlung zum Vorbild, ohne den Mann dahinter zum Helden zu erheben, einen Offizier, der Zeit seines soldatischen Lebens dem nationalsozialistischem System und dem Führer treu gedient hatte. Aus militärischer Sicht stand der positiven Wahrnehmung des Attentats auf den Diktator aber der Eidbruch von Stauffenbergs entgegen. Einen solchen zum Kriterium zur Aufnahme in die neue Bundeswehr zu machen, stieß bei vielen Soldaten auf erheblichen Widerstand. Die Bundeswehr hat sich diesem kritischen Geschichtsbild verpflichtet und damit „den vielleicht schwersten Weg gewählt, um in eine demokratische Zukunft zu starten“, so Prof. Niehuss.
Das Traditionsverständnis der heutigen Bundeswehr
Die Bundeswehr versteht ihre Soldaten und Soldatinnen als „Staatsbürger in Uniform“, die die Freiheit und Integrität des Staates gewährleisten sollen und auch selbst einen Anspruch auf größtmögliche Freiheit haben. Im kürzlich veröffentlichten neuen Traditionserlass der Bundeswehr findet sich der Begriff des „gewissensgeleiteten Gehorsams“. Die Männer des 20. Juli hätten sich gegen die Tyrannei, damit gegen ihren Eid und den Gehorsam und letztlich für die Freiheit entschieden, erklärte Prof. Niehuss. Sie hätten somit auch die Grenzen des soldatischen Gehorsams aufgezeigt. In der neu gegründeten Bundeswehr müssen angesichts der damaligen Tat keine Befehle mehr ausgeführt werden, die keinen dienstlichen Zweck verfolgen oder die gegen die Menschenwürde des Befehlsempfängers verstoßen. Ein Soldat mache sich heute strafbar, wenn er einen Befehl ausführt, der einen strafbaren Inhalt hat. „Dem einzelnen Unteroffizier und Offizier kommt hierbei große Freiheit und Verantwortung zu, gilt es doch, unter anderem in belastenden Situationen im Einsatz Entscheidungen über Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit von Befehlen zu fällen.“ Genauso groß ist die Verantwortung, sich immer wieder kritisch mit der Geschichte der Wehrmacht und des Dritten Reiches auseinanderzusetzen. „Wir bekennen uns zu einem Mann, der gehandelt hat – dessen Biografie aber auch einen Bruch aufweist“, sagte Präsidentin Niehuss in ihren einleitenden Worten zur Namensgebung des Saals.
Mit Verantwortung entscheiden
Anschließend an die Eröffnungsrede der Präsidentin fand die Podiumsdiskussion „Mit Verantwortung entscheiden. 20. Juli 1944 – 75 Jahre später“ statt. Unter der Moderation von Prof. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, diskutierten der Enkel von Oberst von Stauffenberg Karl Schenk Graf von Stauffenberg, MdB Florian Hahn, Prof. Teresa Koloma Beck, Professur für Soziologie der Globalisierung sowie Oberstleutnant Dr. Helmut Hammerich vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
Eingangs hatte Karl Schenk Graf von Stauffenberg die Gelegenheit, über die heutige Wahrnehmung des Ereignisses zu sprechen. Er stellte klar, dass sein Großvater nach dem heutigen Verständnis kein Demokrat gewesen sei, „aber eben auch kein Nazi“. Er plädierte außerdem dafür, dass alle historischen Persönlichkeiten im Kontext ihrer damaligen Zeit und Lebensumstände betrachtet und beurteilt werden müssten. So könne man auch bei seinem Großvater nicht die Maßstäbe anlegen, die heute gelten würden. Oberstleutnant Hammerich stellte fest, dass die Person von Stauffenberg bei der Ausbildung von Führungskräften der Bundeswehr eine wichtige Rolle spiele und es die Pflicht und Aufgabe der Soldaten sei, sich mit ihm und seinem Handeln auseinanderzusetzen. Er befürworte daher auch den neuen Traditionserlass, der seiner Meinung nach Pflichtlektüre für jeden Offizier werden sollte.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums diskutierten auch angeregt über die Wahrnehmung der Bundeswehr in der Gesellschaft sowie über den Begriff der Zivilcourage im heutigen Deutschland. Besonders Karl Schenk Graf von Stauffenberg, der 2016 seinen Verein „Mittendrin statt EXTREM daneben e.V.“ gründete, um „mit demokratischen Mitteln gegen jede Form des Extremismus zu kämpfen“, sieht einen Mangel an Zivilcourage in der heutigen Gesellschaft in Deutschland. Er mache sich Sorgen um die Allgemeinheit, da der Einzelne nur noch darauf bedacht sei, was der Staat für ihn tun könne, und nicht umgekehrt.
Die ebenfalls angesprochene offensichtlich größer werdende Abneigung der Gesellschaft gegenüber Menschen in Uniform, seien sie Angehörige der Polizei oder der Bundeswehr, der Feuerwehr oder des Rettungsdiensts beschäftigte den Bundestagsabgeordneten Florian Hahn sehr. Er sagte, es bestünde die Gefahr, dass die Bundeswehr zu sehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werde und so nicht mehr sichtbar sei. Es fehle aufgrund der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht an einer flächendeckenden Identifikation mit der Bundeswehr. Somit würde teilweise die nötige Durchmischung der Bundeswehr durch alle gesellschaftlichen Schichten und alle politischen Strömungen fehlen, was einen Nährboden für extremes Gedankengut bereiten könne. Oberstleutnant Hammerich ergänzte, dass die politische Grundbildung wichtiger denn je in der Ausbildung der Führungskräfte in der Bundewehr sei. Die Soziologin Prof. Koloma Beck erklärte, dass die moderne Gesellschaft in Schwierigkeiten mit Uniformen gerate, da der Staat als legitimierter Gewaltausübender auftrete und dies für viele Menschen heute in Kontrast zur Idee der allgemeinen Menschenrechte stehe. Die Gesellschaft müsse aktiv gegen die Entfremdung der Bundeswehr arbeiten.
Die Veranstaltung im neu benannten Stauffenberg-Saal wurde von über 80 Gästen besucht. Darunter befanden sich neben Angehörigen der Familie von Stauffenberg gesellschaftliche Vertreterinnen und Vertreter wie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. Charlotte Knobloch, Politiker wie der Vertreter des Oberbürgermeisters der Stadt München, Stadtrat Thomas Schmid, der Erste Bürgermeister der Sitzgemeinde Neubiberg, Günter Heyland und der Erste Bürgermeister von Ottobrunn, Thomas Loderer. Außerdem nahmen neben Studierenden der Universität weitere Angehörige der Bundeswehr wie die Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr, Frau Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger und der Kommandeur der Offizierschule der Luftwaffe, Brigadegeneral Michael Traut teil.