Digitale Soforthilfe bei belastenden Erlebnissen

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Damit keiner mit der seelischen Last alleine bleibt: Mit MindRelief präsentiert das Institut für Psychologie an der Universität der Bundeswehr München eine App zur Verarbeitung belastender Ereignisse mittels wissenschaftlich geprüfter psychotherapeutischer Techniken, die Betroffenen zeit- und ortsunabhängige Unterstützung leisten soll. Das langfristige Ziel des Entwickler-Teams ist eine Erweiterung des E-Mental-Health-Angebots, so dass dieses auch als Teil der klinischen Behandlung eingesetzt werden könnte.

Ein Unfall, eine schwere Krankheit, Verlust eines Angehörigen, eine schmerzhafte Trennung oder ein schwieriger Streit, ein Überfall, ein sexueller Übergriff, körperliche Gewalt, Mobbing: Belastende Lebensereignisse, die die psychische Gesundheit gefährden, können jeden treffen. Laut neueren Studien erleben rund 70% aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben ein potentiell traumatisches Ereignis.

Hieraus entwickeln sich nicht unbedingt Folgeprobleme wie eine Posttraumatische Belastungsstörung, Depression oder andere Krankheiten, die eine klinische Behandlung erfordern. Trotzdem kann ein solches Ereignis nachhaltig belastend sein und unbearbeitet das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Krankheit erhöhen.  Doch was sollen Betroffene tun, wenn psychotherapeutische Praxen voll sind und die Wartezeiten in der Regel mehrere Monate betragen?

Mit Vorstellungskraft gegen psychische Belastungen

„In den Sprechstunden in der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz sehen wir immer wieder  Menschen, die durch schwierige Lebensereignisse belastet sind, die aber nicht die vollen Kriterien für eine psychische Störung erfüllen – dies ist die Voraussetzung für eine Behandlung durch approbierte Psychotherapeut:innen. Mit diesen Menschen im Hinterkopf haben wir MindRelief entwickelt – eine App, die dabei hilft, belastende Ereignisse zu verarbeiten und so das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Folgeerkrankung zu verhindern. Dabei setzen wir auf psychotherapeutische Strategien, die wir auch in unseren Therapien erfolgreich einsetzen“, sagt Prof. Dr. Joachim Kruse, Leiter der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz und Professor für Klinische Psychologie und Traumatherapie am Institut für Psychologie an der Universität der Bundeswehr München. 

Neuere Erkenntnisse zur Definition und Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung zeigen, dass es keine reine Angststörung ist und dass bei ihrer Entwicklung auch andere Emotionen eine Rolle spielen. Manche Betroffene schämen sich für etwas, das ihnen zugestoßen ist, obwohl sie nichts dafürkonnten oder denken ständig darüber nach, wie sie anders hätten handeln können, so Jessica Grabow, Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Kruse. „Gerade bei Emotionen wie Scham und und Schuld, bei denen eine Person sich selbst sehr negativ bewertet, scheint es wichtig zu sein, Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln. Die Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy, eine Methode der Bewältigung von traumabezogenen Bildern und Emotionen mithilfe der Vorstellungskraft, bietet hierfür eine interessante Herangehensweise Mit unserem Projekt MindRelief wollten wir genau dort ansetzen“, erzählt Grabow über die Anfänge des Projekts.

Die App bietet die Möglichkeit, sich 4 oder 8 Wochen lang intensiv mit einem belastenden Ereignis auseinander zu setzen und so neue Wege des Umgangs damit zu entwickeln – ein Prozess, der an die Therapie von Traumafolgestörungen angelehnt ist. Dabei werden die Teilnehmer:innen aktuell einer von zwei wirksamen Methoden zugeteilt, im Anschluss können sie aber auch die jeweils andere Methode noch ausprobieren.

Mehr Unterstützung für Betroffene dank Digitalisierung

E-Mental-Health, also internetbasierte Verfahren, mit deren Hilfe Menschen anonym und selbstgesteuert an Problemen arbeiten und so ihre psychische Gesundheit verbessern können, gibt es mittlerweile für viele Bereiche, zum Teil werden diese auch bereits von den Krankenkassen übernommen. Mich hat es gereizt, dieses Angebot auch auf belastende Ereignisse auszuweiten. Zudem war es uns als Qualitätskriterium wichtig, die App so datensparsam und transparent wie möglich zu konstruieren, damit die User sich auch wirklich öffnen können“, sagt Leutnant Hannes Diemerling, Entwickler der App, der nun kurz vor dem Abschluss des Master-Studiengangs Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität der Bundeswehr München steht.

E-Mental-Health Angebote können weiter dabei helfen, Barrieren, die eine psychotherapeutische Behandlung erschweren, umzugehen, sowohl psychologische (z.B. Angst vor Stigmatisierung) als auch strukturelle (z.B. ländlicher Wohnort, lange Wartezeiten). Im Sinne der Vorbeugung können sie Menschen dabei unterstützen, Probleme selbst in Angriff zu nehmen, bevor sich eine Erkrankung manifestiert. Dabei zeigt die Forschung in anderen Bereichen, dass E-Mental-Health-Angebote in ihrer Wirksamkeit mit der klassischen ambulanten Psychotherapie vergleichbar sind. 

„Im ersten Schritt haben wir die App für Menschen entwickelt, die belastende Ereignisse erlebt haben, aber (noch) keine klinisch relevanten Probleme haben. Langfristig wollen wir sie aber erweitern, so dass sie auch als Hilfsmittel in der Psychotherapie oder zur Überbrückung der Wartezeit auf einen Therapieplatz eingesetzt werden können. Wir glauben, dass in der sogenannten Blended Care, also der Verschränkung von klassischen und elektronischen Angeboten, das größte Potential liegt, um möglichst vielen Menschen möglichst gut zu helfen, indem die Vorteile beider Zugangswege kombiniert werden. Dies zeigt auch die aktuelle Forschung. Dafür müssen wir zunächst jedoch mehr darüber erfahren, wie gut die App Menschen helfen kann. Daher freuen wir uns über jede:n der Teilnehmenden,  die die App ausprobieren und damit unsere Forschung unterstützen!“, sagt Patricia Kulla, Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt.

Derzeit steht MindRelief nur im Rahmen einer Evaluationsstudie für Android-Geräte zur Verfügung. Teilnehmen kann, wer vor und nach der App-Nutzung einige Fragen beantwortet. Am Ende der ersten Befragung werden die Teilnehmer dann in den PlayStore weitergeleitet.

Hier geht es zur Befragung

 

Bild: Olga Lantukhova