„Die nächste Krise kommt bestimmt – und dann?“: ein Bericht über das RISK Jahreskolloquium 2021
Krisen scheinen allgegenwärtig zu sein. Wir werden damit in den Medien und in unserem Alltag konfrontiert. Das Forschungszentrum RISK der Universität der Bundeswehr München entschied sich deshalb in Kooperation mit der Bayerischen Ingenieurkammer-Bau das Jahreskolloquium 2021 zum Thema „Die nächste Krise kommt bestimmt – und dann?“ zu widmen. Die Veranstaltung fand am 26. Oktober 2021 statt. Prof. Timothy Williams zeichnete in seiner Anmoderation ein komplexes Bild aus vergangenen und gegenwärtigen Krisen, die unsere Gesellschaft begleiten; die Finanz- und Eurokrise, die humanitäre Krise im Nahen Osten und als ihre Folge die Flüchtlingskrise, die Klimakrise, die Corona-Krise. Er untermauerte dadurch eindringlich/eindrücklich die Notwendigkeit, sich mit diesem Thema zu befassen.
Die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München, Prof. Merith Niehuss, eröffnete das Jahreskolloquium. In ihrer Eröffnungsrede betonte sie die besondere Rolle des Forschungszentrums RISK und die Bedeutung seiner interdisziplinären Forschung.
Der interdisziplinäre Charakter von RISK spiegelte sich dann in den Themen der Vorträge wider. Der erste Teil des Kolloquiums widmete sich mit drei Beiträgen sowie einer Diskussion „politischen Zugängen zur Krise“. Prof. Ortwin Renn begann mit der „Herausforderung Systemische Risiken: Lehren aus der Corona-Krise für Wissenschaft und Politik“. Prof. Renn ist wissenschaftlicher Direktor des Institute of Advanced Sustainability Studies Potsdam. Er betonte die Notwendigkeit, in der Bevölkerung das Verständnis für Krisenmechanismen zu stärken. Er plädierte aber auch dafür, manche der mit den Krisen zusammenhängenden Risiken auch als Chancen wahrzunehmen.
Prof. Jasmin Riedl, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München und Vorstandsmitglied des Forschungszentrums RISK, widmete ihren Vortrag „Gesetzgebung im Krisenmodus: Institutionelle Überholspuren und Lernen für die Zukunft“ den Gesetzgebungsprozessen in Krisensituationen. Prof. Riedl zeigte anhand einer Analyse der Gesetzgebungstätigkeit zwischen 1990 und 2013, dass Krisensituationen auf die Gesetzgebung beschleunigend wirken und diese Schnelligkeit von Krise zu Krise tendenziell zunimmt. Prof. Riedl begründete das mit dem überparteilichen Konsens, den es anfänglich in akuten Krisen gibt, und mit dem institutionellen Lernen der Legislative.
PD Dr. Tobias Ide, Lecturer im Bereich Politikwissenschaft an der Murdoch Universität in Perth (Australien) hielt den Abschlussvortrag im ersten Panel. Dr. Ide forscht zum Zusammenhang von Klimawandel und gewaltsamen Konflikten und sprach über den Einfluss von Umweltkatastrophen auf das Risiko gewaltsamer Konflikte. Am Beispiel der Tsunami-Katastrophe in Indonesien, der Dürre in Syrien und der Corona Pandemie in Nigeria zeigte er, wie sich diese Ereignisse sowohl auf die Eskalation als auch auf die Deeskalation eines Konflikts auswirken können.
Im zweiten Teil der Veranstaltung diskutierten die Referierenden unterschiedliche technische Zugänge zum Thema Krise. „Über Genügsamkeit, das Glück und die Architektur“ sprach Hon. Prof. Anna Heringer. Sie erklärte, dass für sie die Architektur ein Werkzeug ist, um das Leben der Menschen zu verbessern. Deshalb ist ihres Erachtens der Beruf der Architektin mit viel Verantwortung verbunden. Am Beispiel eines von ihr verantworteten Projektes in Bangladesch berichtete Prof. Heringer über ihre Arbeit mit dem Material Lehm und zeigte, wie man das Bauen in der Praxis mit Entwicklungszusammenarbeit verbinden kann. Im Vortrag engagierte Prof. Heringer sich für ein Bauen mit natürlichen Materialien, basierend auf der Nutzung lokaler Materialien und des globalen Knowhows. Solche Bauformen könnten nicht nur in Bangladesch, sondern auch in Deutschland ihre Anwendung finden. Ein Umdenken könne einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Mit der Analyse der Anfälligkeit von globalen Wertschöpfungsketten in Krisensituationen beschäftigten sich zwei Wissenschaftler der Universität der Bundeswehr München: Prof. Michael Eßig, Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Beschaffung und Supply Management und PD Dr. Andreas Glas. In ihrem Vortrag „Resilienz in globalen Wertschöpfungsketten: Welchen Beitrag die Digitalisierung leisten kann“ zeigten sie, wie komplex die Wertschöpfungsketten auch bei scheinbar einfachen und regionalen Produkten, wie zum Beispiel Jogurt, sein können und wie Digitalisierung ihre Resilienz erhöhen kann. Prof. Eßig und Dr. Glas plädierten angesichts der globalen Krisen für ein Umdenken und einen kreativen Einsatz von (neuen) Technologien.
Das zweite Panel schloss der Vortrag „CO2-Emissionen – Ist die Bauindustrie auf dem Holzweg?“ von Prof. Karl-Christian Thienel, Professur für Werkstoffe des Bauwesens an der Universität der Bundeswehr München. Prof. Thienel forscht an neuen Möglichkeiten, das Material Beton umweltfreundlicher zu machen. In seinem Vortrag sprach er über die CO2-Bilanz verschiedener Baustoffe. Er stellte die Frage, ob ein natürliches Material wie Holz, unter der Berücksichtigung der Materialknappheit und des Einflusses des Klimawandels auf die Wälder, die Lösung für nachhaltiges Bauen sein kann. Herr Prof. Thienel forderte ein Umdenken hin zu ganzheitlichen Konzepten in der Baubranche.
Zum Abschluss des Jahreskolloquiums folgte eine von Prof. Ursula Münch moderierte Podiumsdiskussion mit Gästen aus Wissenschaft und Politik. Prof Münch ist Direktorin der Akademie für politische Bildung Tutzing und an der Universität der Bundeswehr München Professurinhaberin der Professur für Politikwissenschaft, insb. Innenpolitik und Vergleichende Regierungslehre. Die Gäste des Podiums waren Hon. Prof. Anna Heringer, Dr. Christoph Hoffmann, Prof. Dr. Hermann Ott, Prof. Dr. Ortwin Renn und Herr Klaus Steiner. Das Podium diskutierte über den Umgang mit Krisen im Alltag, über gemeinsame gesellschaftliche und individuelle Eigenverantwortung sowie über die Rolle des Staates in diesem Zusammenhang. Auch die globale Perspektive und die damit verbundene Komplexität bzw. die Kaskadeneffekte von Krisen wurde nochmal betrachtet. Schließlich wurde aber auch das Thema Krise als Chance, Innovationstreiber und sogar als „Geschäftsmodell“ angesprochen. Die Diskussion zeigte, trotz bzw. gerade wegen der Vielfalt der fachlichen und politischen Perspektiven, dass die Themen Krise und Resilienz sowohl für die Teilnehmenden als auch für die Gesellschaft eine große Bedeutung haben. Es wurde aber auch sichtbar, dass das Umdenken oder Handeln der Einzelnen allein nicht genügen. Vielmehr müssen Politik und Wissenschaft ihrer Verantwortung nachkommen, gesamtgesellschaftliche Anstrengungen zur Stärkung der Resilienz gegenüber Krisen voranzubringen und dabei die Bevölkerung an diesem Prozess zu beteiligen.
Trotz der Pandemie bedingten Änderung des Tagungsformates zu einer digitalen Veranstaltung beteiligten sich 70 Personen und brachten sich rege in die Diskussion mit den Referierenden ein. Die Veranstaltung trug nicht nur zum Austausch zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und politischen Perspektiven bei, sondern ermöglichte auch dem sehr diversen Publikum sich an diesem Austausch zu beteiligen und die unterschiedlichen Facetten des Themas kennenzulernen.
Foto: © Universität der Bundeswehr München/Siebold