Forschungsschwerpunkt: Product Lifecycle Management (PLM)
Früher war alles besser! ist ein in vielen Situationen häufig gebrauchtes Zitat, das besonders in schwierigen Zeiten verwendet wird. Alle Unternehmen sind mit den neuen Herausforderungen der Globalisierung konfrontiert. Von außen wirkt ein erhöhter Wettbewerbsdruck, der sich hauptsächlich im Zwang zur Reduzierung der Kosten widerspiegelt. Dadurch, dass immer schneller neue, innovative Produkte gefordert werden, verkürzen sich zusätzlich die Produktlebenszyklen. Die Konsequenz daraus ist die interne Anforderung nach Verringerung der Anzahl benötigter Entwicklungszyklen bis zum einsatzbereiten Produkt. Ziel ist eine schnellere Produkteinführung auf dem Markt, mit der Absicht, eine frühere und möglichst langlebige Alleinstellung zu realisieren. Denn nur wer eine Alleinstellung auf dem Markt behauptet ist in der Lage, sich dem Druck des Preiswettbewerbes zu entziehen und seine Preise zu diktieren. [1]
Diese Veränderungen gilt es nicht als Last, sondern als neue Chance für die Weiterentwicklung des Unternehmens zu verstehen. In den letzten zehn Jahren wurden im Bereich der Automatisierung der Produktion viele Optimierungspotentiale ausgeschöpft, sodass ein Drehen an dieser Stellschraube nur zu marginalen Änderungen führen kann. Fortschritte in diesem Bereich sind lediglich durch Weiterentwicklung der Fertigungstechnologie zu erzielen.
Ein neues Feld für weitere Verbesserungen bietet der Bereich Entwicklung und Konstruktion. Hier können die informationstechnischen Möglichkeiten zu einer deutlichen Erhöhung der Zeit- und Kosteneffizienz führen. Es ist seit langem bekannt, dass alle relevanten Eigenschaften und 70 bis 80 Prozent aller Lebenszyklus-Kosten eines Produkts während seiner Entstehung festgelegt werden. (Fölster/Zint (2004), S. 29).
Um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es erforderlich, neue Märkte zu erschließen und gleichzeitig die bestehenden Kundenbeziehungen nicht zu verlieren. Dafür können drei Bausteine als grundlegend betrachtet werden:
• Fertigung innovativer Produkte
• Verstärkte Kooperation mit Partnern
• Verlagerung der Produktion zu den Abnehmermärkten
Ein noch so innovatives Produkt wird sich nicht durchsetzen, wenn es entweder keinen Nutzen für den Kunden stiftet, oder zum falschen Zeitpunkt in den Markt eingeführt wird. Aber auch fehlerhafte Produkte lassen das Vertrauen des Käufers in das Unternehmen und dessen Produktpalette schwinden.
Doch die notwendigen Innovationen verlangen ein spezifisches Know-how. Daher ist eine Konzentration auf die Kernkompetenz des eigenen Unternehmens unausweichlich, was wiederum die verstärkte Zusammenarbeit mit spezialisierten Partnern bedingt. Damit tritt das Unternehmen nicht mehr als Einzelkämpfer auf dem Markt auf, sondern als Teil einer aus mehreren Stationen bestehenden Wertschöpfungskette [2].
Das Bild eines Unternehmens, welches an einem Standort alle Organisationseinheiten beherbergt, existiert in der Form bei mittleren und großen Unternehmen typischerweise nicht mehr. Die Aufspaltung in mindestens einen Produktionsstandort sowie einen Verwaltungs- und Vertriebsstandort in einem Land kann beobachtet werden. Mittlerweile erfolgt die Verteilung auch über Landes- und Regionsgrenzen hinweg. Die Nutzung der Vorteile günstiger Rohstoff- und Personalkosten verlangt eine Verlagerung der Produktion in alle Teile der Welt. Ein Zugriff auf Entwicklungs- und Konstruktionsdaten wird somit rund um die Uhr, zeitzonenunabhängig notwendig.
Für alle drei Bausteine ist eine Informations- und Kommunikationsinfrastruktur notwendig, die eine integrierte Sicht auf die vorhandenen Daten und Informationen über Standortgrenzen hinweg bereitstellt. Weiterhin ist die IT-gestützte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Unternehmen innerhalb der Versorgungskette umzusetzen, um einen Datenaustausch zu ermöglichen. Drittens müssen die Wünsche des Kunden kontinuierlich vom Beginn der Wertschöpfungskette (Forschung und Entwicklung) bis zum Ende (fertiges Produkt) schnellstmöglich, vollständig und richtig weitergegeben werden.
Die Entwicklung eines neuen, komplexen Produktes oder die Suche nach revolutionären Fertigungsverfahren stellt für jedes Unternehmen ein unkalkulierbares, hohes Risiko dar. Scheitert die Neuentwicklung oder kann sich die gefundene Lösung am Markt nicht durchsetzen, so bedeutet das auf Grund der hohen Investitionskosten nicht selten das Ende des Unternehmens. Zur Verteilung dieses Risikos werden Zusammenarbeiten mit vor- und nachgelagerten Partnerunternehmen im Produktlebenszyklus, aber auch mit eigenen Konkurrenten auf der Anbieterseite angestrebt. Diese dienen auch der Erzielung von Lerneffekten. Die Art der Zusammenschlüsse ist von individuellen Faktoren abhängig und kann von freiwilliger Kooperation, z.B. in Joint Ventures [3] bis zur Konzentration, in Form einer Fusion oder Konzernbildung, reichen. Dies erfordert eine uneingeschränkte Zusammenarbeit auf diesem gemeinsamen Gebiet bei gleichzeitigem Schutz des restlichen Know-hows.
Im Folgenden wird ein Szenario beschrieben, das die Notwendigkeit von PLM darstellt:
Es existieren lange Entwicklungszeiten, weil vorhandene Teile prinzipiell nicht verwendet werden und wenn doch, dauert die Suche nach den gewünschten Teilen sehr lange. Dies verringert die Motivation der Entwickler, nach schon bestehenden Teilen zu suchen. Die Entscheidung fällt zu Gunsten der Eigenentwicklung. [4] Falls ein Teil zur Wiederverwendung identifiziert wurde, kann die Dokumentation zu diesem nicht aufgerufen werden, weil sie nur dezentral vorliegt und der Mitarbeiter darauf keinen Zugriff hat. Damit ist die Verwendung des Teiles nicht ohne Risiko möglich. [5] Veränderungen an den Produktdaten werden nicht durch ein System kommuniziert, sodass die Informationen über Statusänderungen nur zu einem Mitarbeiter gelangen, wenn er diese abfragt.
Im Konkurrenzunternehmen B erfolgt die Entwicklung eines Produktes mit Hilfe der Unterstützung durch ein IT-System. Dieses erfordert die Eingabe von Teilen und die Pflege der daraus entstehenden Produktstrukturen, was sich zunächst als Mehraufwand für den bearbeitenden Angestellten herausstellt. Zusätzlich wurden mit Einführung des PDM-Systems die Geschäftsprozesse optimiert und parallelisiert sowie der Teilestamm standardisiert. Als Konsequenz ergeben sich daraus erheblich kürzere Zeiten für alle anderen Tätigkeiten, und die festgelegten Arbeitsschritte sorgen für eine transparente Entwicklung. Engpässe und Verzögerungen werden sofort erkannt und sind für alle Beteiligten nachvollziehbar. Durch den erhöhten Kommunikationsbedarf der parallelen Entwicklung wird der Informationsaustausch gefördert. Die schnelle Weitergabe von Informationen, nicht nur an Entscheidungsträger, sondern an alle beteiligten Mitarbeiter wird unterstützt. Das Endresultat ergibt eine schnellere und kostengünstigere Entwicklung von qualitativ hochwertigen Produkten, durch die Wiederverwendung bereits existierender Teile.
Die Anforderungen des Marktes nach hoher Qualität, innovativen Produkten und geringen Kosten können vom zweiten Unternehmen einfacher, in Teilbereichen sogar nur von diesem, erfüllt werden. Daher wird auf lange Sicht, das Unternehmen B die Aufträge der Kunden erhalten und seine Produkte auf dem Markt verkaufen können, während die Produkte des Unternehmens A weniger nachgefragt werden.
Die beschriebenen Szenarien zeigen die Notwendigkeit einer Optimierung für das Unternehmen A auf. Die Professur für Softwarewerkzeuge und Methoden für integrierte Anwendungen zeigt mit dieser Thematik Entwickungspotentiale für ausgewählte Bereiche des Produktlebenszyklusmanagements (PLM) in der Entstehung von Produktion auf.
PLM bezeichnet ein strategisches Konzept zum Management eines Produktes über seinen gesamten Lebenszyklus. Dieses Konzept umfasst sowohl unterstützende IT-Systeme als auch Methoden, Prozesse und Organisationsstrukturen. PLM ist nicht zu verwechseln mit Produktdatenmanagement (PDM), auch wenn dieses System in der Regel eine zentrale Rolle in der Umsetzung spielt, um damit alle Daten, die bei der Entwicklung, Produktion, Lagerhaltung und dem Vertrieb eines Produkts anfallen, einheitlich zu speichern, zu verwalten und abzurufen. Im Idealfall greifen alle Bereiche bzw. Systeme, die mit einem Produkt in Berührung kommen, auf eine gemeinsame Datenbasis zu: Von der Planung (PPS/ERP), Konstruktion (CAD), Berechnung (CAE) und Fertigung (CAM) bis zum Controlling, Vertrieb und Service.
PLM ist kein in sich geschlossenes System und keine einfach käufliche IT-Lösung, sondern ein strategisches Konzept, das durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen betriebsspezifisch umgesetzt werden muss.
[1] Für eine vertiefende Betrachtung von Wettbewerbsstrategien siehe Porter (1999) oder Fleck (1995)
[2] Supply Chain ist der Teil der Wertschöpfungskette einer Fertigungsindustrie, der den Einkauf von Rohstoffen und Halbfertigerzeugnissen, die Produktion von Fertigerzeugnissen und das Verteilen der Produkte auf den Kunden (i.d.R. Handelsunternehmen) umfaßt. Das Supply Chain Management (SCM) verbindet die Teile der Versorgungskette innerhalb eines Unternehmens und mit den Wertschöpfungsketten der Lieferanten und (Handels-)Kunden zu einem Ganzen bzw. zu einem umfassenden Geschäftsprozeß. Das Supply Chain Management kann damit auch als Integrationsmanagement verstanden werden. (Chrobok (1999), S. 297 f.)
[3] Unter dem Begriff Joint Venture (deutsch Gemeinschaftsunternehmen) versteht man Kooperationen von Gesellschaften, bei denen es zur Gründung einer neuen, rechtlich selbstständigen Geschäftseinheit kommt, an der beide Gründungsgesellschaften mit ihrem Kapital beteiligt sind. Neben dem Kapital bringen die Gründungsgesellschaften meist einen wesentlichen Ressourcenanteil an Technologie, Schutzrechten, technischem bzw. Marketing-Know-how und oder Betriebsanlagen ein. Ein Joint Venture ist durch zwei Aspekte gekennzeichnet, nämlich Kooperation und Autonomie . (Vgl. Wöhe (2002), S. 314, 1038)
[4] Zusätzlich fehlt eventuell sogar das Vertrauen in die bereits entwickelten Teile, vergleichbar mit dem NIH ( Not invented here )-Syndrom aus der Softwareentwicklung.
[5] Die Zeiten für einzelne Tätigkeiten ohne die Unterstützung durch ein PDM-System können der VDI 2219 auf Seite 42 entnommen werden.