Am Abend des 9. April 2003 wird
es wohl keine Nachrichtensendung gegeben haben, die nicht mit diesen Bildern
begann: Wir sahen Menschen, die in einem ekstatischen Zustand zwischen
unbändiger Wut und ausgelassener Freude schimpften, jubelten und Parolen skandierten.
Aus der Menge flogen Schuhe und Müll in Richtung der monumentalen Statue, an
deren Sockel sich bereits ein Mann mit einem Vorschlaghammer zu schaffen machte.
Es
folgten Aufnahmen von Soldaten, die auf die Statue kletterten und Seile
festzurrten, bevor ein Kranwagen sie schließlich unter großem Jubel niederriss.
Saddam Husseins Schreckensherrschaft war beendet. So umstritten die Invasion
des Irak durch die Amerikaner und ihre "Koalition der Willigen" war, das Ende
der brutalen Diktatur Saddams betrauerte rund um die westliche Welt kaum jemand und die Bilder aus Bagdad
waren auch in Deutschland Grund zur Freude. Wie absurd wäre es uns vorgekommen, hätten
Kommentatoren den Sturz der Herrscherstatue als Versuch bezeichnet, die
Geschichte reinzuwaschen, sich unreflektiert einer unliebsamen Vergangenheit zu
entledigen. Nein, als Saddam vom Sockel fiel, fiel sein mörderisches Regime.
Die Symbolkraft war nicht zu überbieten, erst recht nicht vom arg
bemüht wirkenden Auftritt George W. Bushs, der einen knappen Monat später im
Kampfflugzeug auf der USS Abraham Lincoln landete und das Ende der
Hauptkampfhandlungen im Irak verkündete.
Die beschriebene Szene zeigt, dass wir
prinzipiell kein Problem damit haben, wenn Statuen fallen, zumindest, wenn es
sich um Statuen ausgewiesener Schurken handelt. Wer wäre so anmaßend, von
Menschen, die unter Diktatoren gelitten, möglicherweise Familienangehörige
verloren oder Jahre in Gefängnissen verbracht haben, zu fordern, tagtäglich mit
den Denkmälern ihrer Peiniger zu leben? Zudem haben neue Machthaber, sei es als
Befreier oder Reformer, oft das Bedürfnis, den Bruch mit der bisherigen
Herrschaftspraxis auch in der Gestaltung des öffentlichen Raums deutlich zu machen.
So verschwanden die Statuen Stalins recht bald nach dessen Tod im Rahmen der
von Chruschtschow angeordneten Entstalinisierung, und Hakenkreuze und andere
Nazisymbolik wurden nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg entfernt
(den Bau von Hitler-Denkmälern zu seinen Lebzeiten hatte der Diktator ohnehin
verboten).
Aber wie steht es mit Statuen von Menschen, deren
Denken und Wirken heute – teils Jahrhunderte nach ihrem Tod – einer
Neubewertung unterzogen wird? Infolge des Mordes an George Floyd erleben wir
momentan eine globale Protestbewegung, die sich gegen täglich erlebten und
strukturellen Rassismus wendet und in diesem Zusammenhang auch die
steingewordene Geschichte ins Visier nimmt. Besonders bildmächtig geschah dies
in Bristol, wo Demonstranten die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston vom
Sockel rissen und ins Hafenbecken schmissen, in einer Prozession, die durchaus an einen Lynchmob erinnerte. Dutzende weitere Denkmäler im
Vereinigten Königreich wurden von Aktivistinnen mit Farbbeuteln beworfen oder mit
Schriftzügen versehen, Ähnliches geschieht in Belgien oder den USA, zuletzt wurde auch in Hamburg-Altona eine Bismarck-Statue mit roter Farbe besudelt.
Die Black-Lives-Matter-Bewegung und ihre Unterstützerinnen fordern den Abbau von Standbildern,
die in ihren Augen eine Vergangenheit von Kolonialismus und Sklaverei
verherrlichen und so Rassismus perpetuieren. Sie trifft damit offensichtliche Ziele wie die
Statuen von Colston in Bristol oder Cecil Rhodes in Oxford, dem Inbegriff des
Imperialisten, die schon seit Jahren in der Kritik stehen. Auch in
den Vereinigten Staaten fügt sich der Bildersturm in eine bereits lang geführte
Debatte über das Erinnern an die Konföderation ein, jenen Bund US-amerikanischer
Staaten, die sich 1860/61 für unabhängig erklärten, um die Sklaverei zu
verteidigen. Neuer ist das wachsende Bewusstsein für die dunkle koloniale
Vergangenheit in Belgien, wo eine Debatte um Leopold II. entbrannt ist. Dieser
hatte als Souverän des sogenannten Kongo-Freistaats ein brutales
Ausbeutungsregime errichtet, dem schätzungsweise acht Millionen Menschen zum
Opfer fielen. Erste Universitäten entfernten in den vergangen Tagen Büsten des
Monarchen aus ihren Räumen und die Petition eines 14-jährigen Schülers, alle
öffentlichen Standbilder Leopolds abzubauen, wurde bereits von Zehntausenden
unterzeichnet. Viele überrascht hat hingegen, dass selbst Statuen von Personen
wie Winston Churchill oder Mahatma Gandhi, über die bisher eher
erinnerungspolitischer Konsens geherrscht zu haben schien, in den Fokus der
antirassistischen Demonstranten rücken.
Als Historiker tendiert man dazu, Zeugnisse der
Vergangenheit erhalten zu wollen. Statuen mögen nicht die besten
Geschichtsvermittler sein, wenn es um die in Stein Gehauenen oder in Bronze Gegossenen geht – ist ihr Zweck doch meist der der Glorifizierung. Doch sie
geben, beschäftigt man sich eingehender mit ihnen, Einblick in Denken und Fühlen
vergangener Generationen, in Machtverhältnisse, Herrschaftsstrategien und
(andauernde) Kämpfe um Deutungshoheit. Sie sind als Repräsentanten der
Vergangenheit allerdings auch Teil der Gegenwart. Wir leben mit den Denkmälern
in unseren Städten, Dörfern und Landschaften, so wie wir es auch mit Straßen,
Schulen oder Universitäten tun, die seinerzeit nach vermeintlichen Helden und
Vorbildern benannt wurden, und es ist an uns, zu entscheiden, ob wir mit ihnen
leben wollen. Oder auch: ob wir als gesellschaftliche Mehrheit sie jenen Minderheiten zumuten wollen, die sich von ihnen unmittelbar verletzt fühlen. Denkmäler sind nicht einfach
nur Geschichte, die man mit ihrem Abbau oder der Umbenennung auslöschen würde. So wie Menschen
"Geschichte machten", wenn sie entschieden, ein Standbild zu errichten,
geschieht dies auch beim Entschluss, ein solches wieder zu entfernen. Sie
schreiben Geschichte weiter, interpretieren sie neu von ihrem gegenwärtigen
Standpunkt aus, kurz, sie tun in Bezug auf ihren öffentlichen Raum nichts
anderes als das, was Historiker in ihrer Forschung tun.