Auf dieser Seite finden Sie detaillierte Informationen über das Forschungskonzept des Arbeitsfeldes Beschaffung.
Inhaltliche Vorüberlegungen
Forschung und Lehre bilden an der Professur bzw. den mit ihr verbundenen Instituten und Forschungszentren eine Einheit. Die in der Lehre von der Professur angebotenen Veranstaltungen in den Modulen „Betriebswirtschaftliche Leistungsfunktionen I und II“ und die Mitwirkung im Vertiefungsfeld „Management marktorientierter Wertschöpfungsketten“ (Module „Strategisches Beschaffungsmanagement“ und „Supply Chain Management“) orientieren sich in ihrem Grundkonzept am industriebetrieblich geprägten Supply Chain Management (Management von Wertschöpfungsketten). Die Industriebetriebslehre ist eine spezielle Betriebswirtschaftslehre, die sich explizit mit dem Wirtschaften in industriellen Betrieben beschäftigt. Der starke strukturelle Wandel, dem Industrieunternehmen derzeit unterliegen, forciert die Wandlung der Managementperspektive vom Industriebetrieb zur Führung komplexer industrieller Netzwerke („Supply Chains“). Die Ursachen liegen einerseits in der dynamischen Entwicklung neuer Fertigungs- und Informationstechnologien und andererseits in einer tiefgreifenden Veränderung der Bedingungen auf den Beschaffungs- und Absatzmärkten.
Die zunehmende Vernetzung bzw. Netzwerkbildung bleibt nicht auf den industriellen Sektor beschränkt. Auch der öffentliche Sektor wandelt sich zunehmend zu einem „Gewährleister“ öffentlicher Aufgabenerfüllung, der sich bei der eigentlichen Leistungserstellung einem Netzwerk privater Unternehmen und/oder öffentlich-privater Partnerschaften (Public Private Partnerships / PPP) bedient.
In den Forschungsbemühungen des Lehrstuhls spiegeln sich diese Weiterentwicklungen von Wertschöpfungsprozessen wider. Dabei sind zwei Entwicklungsschwerpunkte zu konstatieren:
- Zum einen wird der Anteil der unternehmens- bzw. institutioneninternen Leistungserstellung immer geringer. Die angestrebte Konzentration auf Kernkompetenzen, die intensive Nutzung spezifischen Lieferanten-Know-Hows und schließlich die Möglichkeiten neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wie des Internet führen zu zunehmender Reduzierung der Leistungstiefe („Outsourcing“). Damit steigt die Bedeutung von Vorlieferanten; an die Stelle einzelner Industrieunternehmen treten industrielle (Abnehmer-Zulieferer-) Netzwerke bzw. Wertschöpfungsketten. Im öffentlichen Sektor tritt an die Stelle des „Staates“ zunehmend ein Netzwerk privater Dienstleister bzw. Öffentlich-Privater Partnerschaften und staatlichen Stellen. Das lässt sich empirisch durch steigende Fremdbezugsanteile nachweisen. Konsequenterweise orientiert sich unsere Forschung weit weniger an der klassischen Produktions- und Leistungswirtschaft, sondern an der Führung von Wertschöpfungsketten und ‑netzen. Damit einher geht eine Aufwertung des Beschaffungs- bzw. Versorgungsmanagement zum Management externer Wertschöpfung. Der Anteil (extern beschaffter) Dienstleistungen steigt, da der Versorgungsfokus auf Problemlösungen liegt. Nachfolgende Abbildung zeigt den Evolutionspfad von Industriebetrieben beispielhaft auf - von traditionellen Fertigungs- und Versorgungskonzepten hin zum Extremfall des „entmaterialisierten Unternehmens“, das keinerlei eigene Fertigungsaktivitäten mehr unterhält, sondern ein leistungsfähiges Zuliefernetzwerk steuert. Beispielhaft dafür sei die Fertigung von Mobiltelefonen genannt, die größtenteils nicht mehr von den Mobiltelefonfirmen selbst, sondern von spezialisierten Fertigungsdienstleistern („Electronic Manufacturing Services“) durchgeführt wird. In derartigen Netzwerken spielt die Gestaltung effizienter Material-, Informations- und Finanzmittelflüsse eine entscheidende Rolle. Die unternehmensübergreifende Logistik wird zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
- Zum anderen verlagern sich mit dieser Entwicklung Wettbewerbsanstrengungen an die Netzwerkaußengrenze („networks compete with other networks“, Lechner 2001, S. 358 bzw. „supply chains compete, not companies“, Christopher/Jüttner 1998, S. 89). Die Steuerungsmechanismen („Governance Structures“) innerhalb industrieller Netzwerke müssen deshalb ebenso von Interesse sein wie die marktorientierte „Außenabgrenzung“.
Inhaltliche Konkretisierungsdimension I: Teildisziplinäre Abgrenzung und Kettenumfang
Aus den inhaltlichen Vorüberlegungen lässt sich die Forschungsstrategie der Professur mit Hilfe zweier Dimensionen ableiten. Die erste Dimension betrifft - in inhaltlicher Anlehnung an Hammann/Lohrberg (1986) - den Verrichtungsumfang. Dabei wird zwischen der inner- und zwischenbetriebliche Behandlung von Sach- und Dienstleistungen im Rahmen des industriellen Wertschöpfungsprozesses sowie der Erlangung der Verfügungsgewalt unterschieden. Der Schwerpunkt liegt bei der inner- und zwischenbetrieblichen Behandlung auf dem Material- sowie zugehörigen Informationsfluss (bspw. Transport, Lagerhaltung, Fertigungsdurchlauf etc.). Die rechtliche Verfügbarkeit betrifft in erster Linie institutionelle Steuerungsprobleme (Gestaltung adäquater „Governance Structures“). Im Mittelpunkt stehen Aspekte der ökonomisch-rechtlichen Verfügungsrechte und des Flusses akquisitorischer Informationen.
Die zweite Dimension betrifft die Frage nach dem zentralen Erkenntnisobjekt der Betriebswirtschaftslehre. Klassischerweise steht der Einzelbetrieb im Vordergrund. Es wird unter¬stellt, dass Unternehmen und die sie umgebenden Märkte klar zu trennen sind. Die oben skizzierte Entwicklung hin zu einer reduzierten Eigenfertigung bei zunehmender Lieferanteneinbindung läßt die Unternehmensgrenzen „verschwimmen“, es entstehen hybrid gesteuerte Netzwerke. Dafür stehen Konzepte wie die oben angesprochenen „Factory Within A Factory“-Systeme oder der Ansatz des „grenzenlosen Unternehmens“ (vgl. Picot/Reichwald/Wi¬gand 2002). Die institutionelle Trennschärfe ist gering.
Aus den Dimensionen Verrichtungsumfang und institutionelle Trennschärfe ergibt sich eine Forschungsmatrix, deren Mittelpunkt bzw. Kulmination das Supply Chain Management als umfassendster Ansatz für die Erklärung und Gestaltung von Wertschöpfungsketten bzw. netzwerken darstellt. Dieses zentrale Erkenntnisobjekt wird aus drei Perspektiven beleuchtet:
Primäre Perspektive und zentrale Forschungsdisziplin der Professur ist die Beschaffung (Supply Management). Bei der Beschaffung handelt es sich zwar im Kern um eine betriebliche Funktion, allerdings mit naturgemäß (unternehmens-) grenzüberschreitendem Charakter. Die Beschaffung gehört zu den lange vernachlässigten Funktionsbereichen der Betriebswirtschaftslehre. Sie umfasst alle unternehmens- und/oder marktbezogenen Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Objekte verfügbar zu machen (Arnold 1997, S. 7). Zum Beschaffungs- bzw. Supply Management gehören vor allem strategische Fragen des Einkaufs, bspw. die Gestaltung von Lieferantenbeziehungen (Supplier Relationship Management) oder der Einsatz von Sourcing-Konzepten (Modular Sourcing etc.).
Die isolierte Optimierung des akquisitorischen Flusses alleine ist allerdings nicht zielführend. In der Praxis würde das bspw. bedeuten, dass im Zuge der Lieferantenauswahl und Vertragsverhandlung Aspekte wie eine optimierte Zulieferlogistik in Form bestandsarmer Anlieferungen und eines optimierten Verpackungskonzeptes nicht berücksichtigt werden. Beschaffung muss sich daher - gerade im Hinblick auf das Supply Chain Management - auch immer enger mit der Logistik verzahnen. Die Logistik hat sich bereits in einem frühen fachwissenschaftlichen Entwicklungsstadium mit dem Management überbetrieblicher Material- und Informationsflüsse auseinandergesetzt.
Dritte Perspektive und damit die anderen Forschungsperspektiven unterstützend ist die Netzwerkorientierung. Sowohl die zunehmende Außen- bzw. Lieferantenorientierung der Beschaffung als auch die Adressierung unternehmensübergreifender Güterflussprobleme durch die Logistik machen eine Re-Orientierung der betriebswirtschaftlichen Forschung zum Erkenntnisobjekt Wertschöpfungskette bzw. netzwerk erforderlich. Die damit verbundenen Steuerungsmechanismen hybrider Institutionen zur industriellen Wertschöpfung sind aus Beschaffungsperspektive für die Gestaltung optimaler Lieferantenbeziehungen von größtem Interesse.
Klassisches Produktionsmanagement konzentriert sich auf betrieblich-physische Wertschöpfungsaktivitäten. Aus den oben skizzierten Gründen vermitteln wir zwar Grundlagen des Produktionsmanagement in unseren Lehrveranstaltungen, legen aber keinen Forschungsschwerpunkt in diesem Gebiet.
Die integrierte, netzwerkorientierte Optimierung von Logistik-, Beschaffungs- und Fertigungsaktivitäten wird überwiegend unter dem Oberbegriff Supply Chain Management diskutiert. SCM ist weit mehr als „nur“ eine weiterentwickelte Logistik. Supply Chain Management umfasst die Gestaltung industrieller Wertschöpfungsaktivitäten von der Rohstoffgewinnung bis zur Auslieferung an den Endkonsumenten. Durch die Integration der Professur in das „Institut für Management marktorientierter Wertschöpfungsketten“ ist eine umfassend-integrierte SCM-Forschung möglich.
Inhaltliche Konkretisierungsdimension II: Teildisziplinäre Konrektisierung
In der ersten Stufe zur Konkretisierung der Forschungsperspektive wurde darauf verwiesen, dass der primäre Blickwinkel auf das SCM aus beschaffungswirtschaftlicher Sicht erfolgt. Diese betriebswirtschaftliche Teildisziplin war lange vernachlässigt und als „Einkauf“ rein operativ ausgerichtet (vgl. Bogaschewsky 2003, S. 24 ff., Kaufmann 2001, S. 17-29). Die oben skizzierte Tendenz zu zunehmender Arbeitsteilung und damit zu zunehmenden Fremdbezugsanteilen macht eine weiterentwickelte Steuerungsfunktion für Beschaffungsmärkte und Lieferanten erforderlich. Der Einkauf entwickelt sich in zwei Richtungen weiter:
- Zum einen bekommt er strategischen Charakter. Wenn Lieferanten wesentlich zur Leistungserstellung beitragen, muss ihr Beitrag zum Produkterfolg und damit zum Unternehmenserfolg des Abnehmers ebenfalls steigen. Damit werden sie zur Quelle von Wettbewerbsvorteilen, ihre Steuerung mithin strategische Unternehmensaufgabe. Die Forschungstradition eines strategischen Beschaffungsmanagement in Deutschland ist wesentlich auf Arnold (1982) zurückzuführen.
- Zum zweiten – und das wurde bereits in der Konkretisierungsstufe I verdeutlicht – muss die Beschaffung mit den anderen (Teil-) Systemen eines SCM wie der (Beschaffungs-) Logistik oder dem Netzwerkmanagement interagieren, Schnittstellen optimieren und funktionsübergreifend zusammenarbeiten. Nur so kann das sog. materialwirtschaftliche Optimum (vgl. Grochla 1978) erreicht werden, d.h. das richtige Produkt in der richtigen Qualität am richtigen Ort zur richtigen Zeit für die eigene Organisation zur Verfügung gestellt werden.
Beide Aspekte – die strategische Ausrichtung wie die Interaktion mit Materialwirtschaft und Logistik – werden in der Literatur weitgehend übereinstimmend mit dem Begriff des Supply Management verbunden (vgl. Arnold 1990, S. 68, Arnold 1997, S. 1 und 8, Bogaschweksy 2003, S. 4548, Eßig 2005, S. 16 ff. van Weele/Eßig 2017, S. 20 f.). Zu den dabei untersuchten Themen gehört bspw. der zielgerichtete Einsatz von Sourcing-Konzepten, die warengruppenspezifische Strategieentwicklung im Einkauf oder die Messung der Leistungen des Einkaufs (Warengruppen- und Beschaffungsperformance).
Inhaltliche Konkretisierungsdimension III: Nachfrageorientierte Einordnung (Sektorenbezug)
Es wurde bereits angedeutet, dass die Verschiebung der Forschungsperspektive vom Management einzelner Institutionen zum Management umfassender Wertschöpfungsketten bzw. –netzwerken nicht nur in der industriellen bzw. industrienahen Wirtschaftssektoren, sondern auch im öffentlichen Sektor stattfindet. Vor dem Hintergrund der Neustrukturierung staatlicher Aufgaben wird die Bedeutung extern zugekaufter Leistungen weiter zunehmen. In der Staatstheorie wird dies unter dem - derzeit noch etwas vagen - Begriff des „Gewährleistungsstaates“ diskutiert. Dabei konzentriert sich die öffentliche Hand (der „Staat“) auf die Gewährleistungsverantwortung, d.h. sie stellt sicher bzw. überwacht, dass die Leistungen ordnungsgemäß in quantitativer und qualitativer Hinsicht erbracht werden. Die Vollzugs- und Finanzierungsverantwortung - und damit die eigentliche Leistungserstellung - erfolgt durch Private.
Dahinter verbirgt sich im Kern eine ähnliche Entwicklung, wie sie die Privatwirtschaft unter dem Oberbegriff „Outsourcing“ bereits seit geraumer Zeit vollzieht. Die Rahmenbedingungen im Öffentlichen Sektor sind jedoch - nicht zuletzt aufgrund der Regulierungen des Vergaberechts und zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP bzw. Public Private Partnerships PPP) - durchaus unterschiedlich.
Hauptgrund ist die enorme haushaltspolitische Herausforderung, vor denen praktisch alle hochentwickelten Volkswirtschaften derzeit stehen. Mit dem Wandel zum Gewährleistungsstaat wird der Versuch unternommen, „typische“ öffentliche Aufgaben mit den Effizienzvorteilen privater, marktwirtschaftlicher Steuerung zu verbinden. Wird der Begriff Gewährleistungsstaat richtig verstanden, dann muss der Staat in Zukunft in der Lage sein, seine Gewährleistungsverantwortung zu erfüllen. Public Supply Management, verstanden als eine strategische Funktion der öffentlichen Hand zur Steuerung eines leistungsfähigen Netzwerks von Zulieferunternehmen im Sinne von Lösungsanbietern soll dieser steigenden Verantwortung gerecht werden und adäquate Managementinstrumente bereitstellen.
Für die Bearbeitung der spiegelbildlich zu den oben skizzierten privatwirtschaftlichen Fragestellungen angelegten öffentlichen Beschaffungsproblemen ist die Professur (Mit-) Träger des bundesweit einmaligen Forschungszentrums für Recht und Management öffentlicher Beschaffung (FoRMöB). Im Mittelpunkt des FoRMöB steht - wie der Name schon sagt - ein modernes, betriebswirtschaftliches Beschaffungsmanagement (Public Supply Management / PSM), das sich ebenfalls der Anbindung an ein umfassendes (Public) Supply Chain Management verpflichtet fühlt.
Im Gegensatz zu industrieller Beschaffung (im Sinne des o.g. Industrial Supply Management) zeichnet sich die öffentliche Beschaffung dadurch aus, dass der Käufer dem öffentlichen Sektor angehört bzw. Waren und Dienstleistungen für den öffentlichen Bedarf eingekauft werden. Das Gesamtvolumen der öffentlichen Beschaffung in Deutschland liegt bei ca. 478 Mrd. € jährlich (vgl. EU-Kommission 2011, dies entspricht etwa 15% des Bruttoinlandsprodukts. Es existieren ca. 30.000 Vergabestellen in Deutschland. Die öffentliche Hand selbst kann durch wirtschaftlicheren Einkauf erhebliche Mittel freisetzen und so den fiskalpolitischen Handlungsspielraum signifikant erhöhen. Geht man von den oben angesprochenen 478 Mrd. € in Deutschland aus, so würde eine Einsparung von nur 0,5% dem Volumen der gesamten Branntwein-, Schaumwein- und Alkopopsteueraufkommen entsprechen. Mit einer Effizienzsteigerung um 1% werden Mittel freigesetzt, die einer Verdoppelung der Entwicklungshilfe (Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) entsprechen; bei 1,5% entsprechen sie einer Umsatzsteuersenkung um 5% bzw. bei 2% sogar den gesamten Steuereinnahmen des Solidaritätszuschlags. Mit einer Senkung des Beschaffungsvolumens um 3,5% könnte man die Nettokreditaufnahme Deutschlands egalisieren. Mag diese Rechnung auch etwas verkürzt sein, da das Beschaffungsvolumen auf Kommunen, Länder und den Bund aufzuteilen ist, so zeigt sich doch die enorme Erfolgswirksamkeit des öffentlichen Einkaufs.
Öffentliche Beschaffung ist daher – wie auch in der Industrie – strategisch bedeutsam und muss Schnittstellen zu anderen Elementen wie der (Beschaffungs-) Logistik bereitstellen. Sie ist daher zu einem Public Supply Management weiterzuentwickeln. Aus prozessualer Sicht konzentriert sich die öffentliche Beschaffung häufig einseitig auf den eigentlichen Vergabeprozess im engeren Sinne. Hier liegen jedoch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive nur geringe Erfolgspotenziale, da dieser Prozessschritt weitgehend vergaberechtlich reguliert ist. Hier wären allenfalls elektronische Vergabelösungen effizienzsteigernd.
Innerhalb der öffentlichen Beschaffung nimmt die Beschaffung im Verteidigungs- und Sicherheitssektor nochmals eine Sonderrolle ein. Zum einen ist diese in einer neuen Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) separat reguliert. Zum anderen stellt der Verteidigungssektor mit seinen besonderen Marktstrukturen (i.d.R. nur ein staatlicher Nachfrager, Rüstungsindustrie als sicherheitspolitischer Aspekt etc.) hohe Anforderungen an ein modernes Beschaffungsmanagement. Deshalb steht die Entwicklung eines strategisch verstandenen Defence Supply Management (DSM) im Mittelpunkt dieses Forschungsbereichs des Lehrstuhls. DSM entspricht dem im angloamerikanischen Raum entwickelten Ansatz eines Defence Acquisition Management, welches alle Prozessphasen von der Bedarfsentstehung über die eigentliche Kauf- und Lieferantenauswahlentscheidung bis zur Instandhaltung von Rüstungsgütern umfasst (vgl. Allen 2010, in: Wright, S. VII f.).
Organisatorisch wird der Bereich DSM ebenfalls in einer Forschungsgruppe abgebildet, welche alle Aktivitäten dieses Bereichs unter einem Thema bündelt. Die Bundeswehr investiert im deutschen Verteidigungssektor jährlich über 7,5 Mrd € und beschafft allein Waren und Dienstleistungen im Wert von 5,3 Mrd. €. Diese Mittel sollen sicherstellen, dass moderne und leistungsfähige Streitkräfte zur Verfügung stehen. Im Rahmen des Kompetenznetzwerks Defence Acquisition & Supply Management befasst sich der Lehrstuhl mit neuen Vertragsformen bei komplexer Leistungen (Performance Based Logistics PBL), bspw. dem gesamten Servicemanagement für ein Waffensystem inklusive Wartung, Reparatur, Ersatzteilversorgung und Dokumentation („Total Product Support“ im Sinne des skizzierten DSM-Ansatzes). Ziel ist die Optimierung der Totalkosten über den Lebenszyklus hinweg. Erfahrungen zeigten, dass über 70% der Kosten eines Waffensystems in After-Sales-Services liegen. Bedenkt man die langen Nutzungszeiträume, bspw. über 40 Jahre für das Transportflugzeug Transall, dann erkennt man die Kostenwirkung von Wartungs- und Reparaturleistungen.
PBL zielt aber nicht nur auf Kosteneinsparungen ab. Bei sehr langen Lebenszyklen müssen die technisch anspruchsvollen Systeme der Bundeswehr überholt und erneuert werden. Durch eine enge Kooperation eines systembetreuenden Unternehmens mit den Streitkräften und dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr soll das Konzept auch auf eine Effektivitätssteigerung erreichen.
Zentrale Hebel, um diese Ziele zu erreichen, sind die Bedarfsspezifikation mittels einer funktionalen Leistungsbeschreibung (Performanceziele) und die Entlohnung des Auftragnehmers anhand der Erfüllung dieser Zielvorgaben (Pay-per-Performance). Anders als bei traditionellen Verfahren wird der Industrie dadurch ein erweiterter Spielraum zugestanden, welcher für Optimierungsmaßnahmen genutzt werden kann. Gleichzeitig wird die Industrie durch die Kopplung der Bezahlung an die Leistungsergebnisse an den Risiken beteiligt. Die Gewinnmaximierungsabsicht der Unternehmen stellt bei PBL die Triebfeder dar, welche durch die zielkongruente Ausrichtung auf Performanceziele zu einer Optimierung der öffentlich-privaten Kooperation führen soll.
Hierzu sind allerdings noch viele Fragen ungeklärt, so können die im angelsächsischen Raum verwendeten Instrumente nicht unverändert auf Deutschland übertragen werden. Dies liegt an spezifischen rechtlichen, organisatorischen und industriepolitischen Rahmenbedingungen, bspw. dem öffentlichen Preisrecht.
Inhaltliche Konkretisierungsdimension IV: Sektorenübergreifende Schwerpunktthemen
Bereits im vorangegangenen Abschnitt wurde mit PBL ein konkretes Forschungsthema im Bereich des Defence Supply Management dargestellt. Ziel der Forschungskonzeption ist es, Synergien bei der Erkenntnisgewinnung und -verwertung wo immer möglich zu heben. Dazu werden sektorenübergreifend Schwerpunktthemen gesetzt, die über einen längeren Zeitraum Bestand haben und sowohl für die Beschaffung der Industrie, als auch die Beschaffung der öffentlichen Hand und die Beschaffung im Verteidigungsbereich von Interesse sind bzw. sein können. Konkret sind dies neben dem generellen Thema einer strategischen Beschaffung im Sinne des Supply Management im Moment:
- Performance Based Contracting als neue Form der Kontrahierung und Zusammenarbeit mit Lieferanten, bei der die Vergütung anhand eines Leistungsergebnisses („Outcome“) im Mittelpunkt steht. Lieferanten werden nicht mehr „fix“ bezahlt, sondern nur, wenn das gewünschte Ergebnis aus Sicht des beschaffenden Unternehmens bzw. der beschaffenden Organisation erreicht sind. Dadurch ergeben sich fundamentale Veränderungen in den Leistungs- und Gegenleistungs- bzw. Finanzmittelströmen, die u.a. zu veränderten Risikoaufteilungen, Problemen bei der einheitlichen Definition und Messung des Ergebnisses im Sinne von Performance oder neuen Leistungsströmen im Bereich digitaler Daten führen.
- Das Lebenszykluskostenmanagement ist die logische Konsequenz dieser veränderten Lieferantenbeziehungen. Entscheidend sind nicht kurzfristige (Einstands-) Preisvorteile, statt dessen definiert sich Wirtschaftlichkeit über die Nutzungsdauer eines Produktes von der Entwicklung über seine Nutzung bis zu seiner Entsorgung bzw. über den Lebenszyklus der Zusammenarbeit mit einem Lieferanten. Folgerichtig bildet dieser Themenbereich und seine Weiterentwicklung den zweiten dezidierten, sektorenübergreifenden Themenbereich.
Methodische Konkretisierung: Die Forschungspyramide
Versteht man Betriebswirtschafslehre als angewandte Wissenschaft, so verfolgt die Forschung neben der Erklärungsaufgabe (kognitives Wissenschaftsziel) auch die Aufgabe, Gestaltungsentscheidungen zu unterstützen (pragmatisches Wissenschaftsziel). Theoriegestütztes Arbeiten und Praxisorientierung sollten dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden, im Gegenteil: Theoretische Durchdringung ist in der Regel Voraussetzung für erfolgreiche praktische Gestaltung.
Um entsprechend der skizzierten methodologischen Zielsetzung forschen zu können, muß die Forschungsmethodik neben die inhaltliche Bestimmung der Forschungsgebiete treten. Sie beschreibt den Grad der Umsetzungs- und Outputorientierung der Forschungsvorhaben und die eingesetzten Instrumente der Erkenntnisgewinnung. Je nach Ausprägung werden Grundlagen-, Strategie- und angewandte Forschung unterschieden. Daraus ergibt sich folgende Forschungspyramide:
Grundlagenforschung („Blue Sky Research“) hat einen stark explorativen Charakter. Sie ist nicht per se mit einem definierten Output (definiertes Umsetzungsziel) verbunden. Methodisch zeichnet sie sich durch eine primär theoretisch-deduktive Vorgehensweise aus. Zum Einsatz kommen vorwiegend ökonomische Theorien der neuen Mikroökonomik wie Netzwerktheorie, Informationsökonomik und Spieltheorie.
Angewandte Forschung ist weitaus umsetzungsorientierter. Im Mittelpunkt steht i.d.R. eine konkrete Fragestellung aus der betrieblichen Praxis. Die Vorgehensweise ist überwiegend empirisch-induktiv, bspw. Fallstudienforschung, multivariate Datenanalyse für Großzahlempirie und Aktionsforschung. Die Projekte sind mit einem konkreten Ziel verbunden, die Outputleistung ist zeitlich genau geplant.
Strategische Forschung ist eine Mischform aus Anwendungs- und Grundlagenorientierung. Dementsprechend kommen hybride Methoden zum Einsatz. Aus Vereinfachungsgründen wird häufig eine Zweiteilung in Anwendungs- und Grundlagenforschung vorgenommen; faktisch ist diese Trennlinie bei angewandten Wissenschaften nur sehr schwer zu ziehen.